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Berlin: Hilfe holen ist Pflicht

BVG-Reinigungspersonal muss bei Gewalt reagieren Fall Torben P. löste Debatte über Richtlinien aus

Sie sind meist spätabends und nachts im Einsatz, wenn auf den U-Bahnsteigen nur noch wenige Fahrgäste warten. Allein die Präsenz der BVG-Reinigungskräfte könnte deshalb potenzielle Gewalttäter in den U-Bahnhöfen abschrecken. Doch während des brutalen Exzesses auf dem Bahnhof Friedrichstraße, bei dem der Schüler Torben P. in der Karfreitagsnacht seinem Opfer gegen den Kopf trat, war das Gegenteil der Fall. Der Reiniger Christian P. ging scheinbar teilnahmslos weiter seinem Job nach. Er selbst sagt, seine Firma habe ihm auferlegt, sich bei Prügeleien nicht einzumischen. Wie berichtet, ermittelt nun die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen unterlassener Hilfeleistung. Zugleich wird in Polizeikreisen überlegt, wie man die BVG-Reiniger besser auf Konfliktsituationen vorbereiten könnte – beispielsweise durch die Teilnahme an Antigewalttrainingskursen.

Mehr als 200 meist männliche Reiniger sind für die BVG in den Bahnhöfen unterwegs. Sie sind nicht direkt bei den Verkehrsbetrieben angestellt, sondern werden von beauftragten Dienstleistungsfirmen beschäftigt. Zu diesen gehört auch die Münchner Dr. Sasse AG, die mit Abstand die meisten BVG-Reiniger stellt. Dort heißt es, alle Mitarbeiter würden halbjährlich für Notsituationen geschult. Dazu gehört, so der Sasse-Vorstand: „Die Nutzung der Notrufanlagen und anderer Informationswege zur BVG, ein deeskalierendes Verhalten sowie weitere Hilfen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.“

Der beschuldigte Reiniger im Fall Torben P. gehörte nicht zur Dr. Sasse AG, er arbeitete für ein kleineres Subunternehmen. Dessen Name will die BVG trotz Nachfragen nicht nennen. Ob dort eine Anweisung gelte, bei Prügeleien gar nichts zu unternehmen, wisse er nicht, sagt BVG-Sprecher Klaus Watzlak. Man werde dem Vorwurf nachgehen. Sollte die Firma von Christian P. ihren Mitarbeitern tatsächlich vorschreiben, eine Gewalttat zu ignorieren, so wäre das aus Polizeisicht ein Straftatbestand, weil dazu aufgefordert wird, Hilfe zu verweigern.

Die Verkehrsbetriebe erwarten laut Watzlak von ihren Reinigern, „dass sie den Notruf drücken oder per Handy Helfer rufen“. Ein weitergehendes Antigewalt- und Deeskalationstraining, wie es die Polizei anbietet, will die BVG den Reinigern nicht vorschreiben. Das sei übertrieben. „Unser Sicherheitskonzept mit Überwachungs- und Notrufchancen reicht aus.“ Nach einer Umfrage des Tagesspiegels haben die meisten Verkehrsbetriebe einschließlich der Berliner S-Bahn an ihre Reiniger ähnliche Erwartungen wie die BVG. Hamburgs Hochbahn und die Münchner Stadtwerke teilen mit, es gehe darum, rasch professionelle Hilfe zu holen. Ein zusätzliches Deeskalationstraining halte man „für eine Überforderung“.

Beim Prozess gegen Torben P. gab es mittlerweile eine Einigung über Schmerzensgeld: Der Zeuge Georg Baur, der Torben von weiteren Tritten abgehalten hatte, erhält 2500 Euro. Das sagte Torben P.’s Anwalt Alexander Sättele. Dem verletzten Markus P. waren 7000 Euro angeboten worden, er verlangt das Doppelte. Laut Sättele war zum Zeitpunkt des Angebots noch nicht bekannt, dass das Opfer einen Zahn verloren habe und sich in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Christoph Stollowsky

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