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Eine Frau steht 2016 in einem Flüchtlingslager nahe der nordirakischen Stadt Dohuk. In dem Lager leben fast nur Angehörige der Jesiden.

© picture alliance / dpa

Hilfsprogramm für verfolgte Volksgruppe: Brandenburg nimmt 72 Jesiden auf

Brandenburg will 72 verfolgte Jesiden aus dem Irak aufnehmen. Viele wurden vom sogenannten IS verschleppt und versklavt. Die ersten sind jetzt angekommen.

Sie haben Unvorstellbares durchlitten, wurden von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verschleppt, versklavt, vergewaltigt: Jesidinnen aus dem Irak und ihre Familien sollen nun in Brandenburg Hilfe bei der Traumabewältigung finden.

Das bereits im Dezember 2016 vom Landtag beschlossene Hilfsprogramm für die verfolgte Volksgruppe wird nun endlich umgesetzt. In etwas abgewandelter Form. Zunächst sollten nur Frauen und Kinder in Brandenburg aufgenommen werden, doch nun werden teils auch Ehemänner oder Brüder mit aus dem Irak geholt, wie Staatskanzleichef Martin Gorholt (SPD), der das Hilfsprojekt koordiniert, am Freitag in Potsdam erklärte. Für die Frauen sei es wichtig, dass ihre Familien nicht auseinandergerissen werden.

Insgesamt nimmt Brandenburg 72 Jesidinnen und Jesiden auf und stellt dafür 500 000 Euro zur Verfügung. 32 Frauen, Kinder und männliche Angehörige sind bereits eingetroffen und werden in einer Gemeinschaftsunterkunft im Landkreis Oder-Spree betreut. Zwei der Frauen seien erst Ende 2018 aus der IS-Gefangenschaft geflohen oder freigekommen, sagte Gorholt. „Die Flüchtlinge bekommen spezielle psychologische Betreuung von Fachkräften, denn die meisten von ihnen sind schwer traumatisiert“, sagte die Leiterin des Ausländeramtes in Oder-Spree, Katja Kaiser, bei der Vorstellung des Hilfsprogramms am Freitag.

Die Vorsitzende der Hilfsorganisation Hawar.help, Düzen Tekkal, hob hervor, dass sich viele Frauen nicht als Opfer, sondern als Überlebende ansehen. „Sie wollen die Mörder und Vergewaltiger vor einen Strafgerichtshof stellen“, sagte die Journalistin.

Martin Gorholt (SPD), Chef der Staatskanzlei.
Martin Gorholt (SPD), Chef der Staatskanzlei.

© dpa

Weitere 40 Menschen, deren Visaverfahren noch nicht abgeschlossen sind, sollen in diesem Jahr in Brandenburg aufgenommen werden. Die Flüchtlinge erhalten eine drei Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis, die verlängert werden kann, falls eine Rückkehr in die Heimat noch nicht infrage kommt. Angesichts der aktuellen Verhältnisse in Nordsyrien sei er skeptischer als noch vor einiger Zeit, dass die Menschen im nur 20 Kilometer von Syrien entfernten irakischen Sinjar-Gebirge, der traditionellen Heimat der ethnisch-religiösen Minderheit, schnell Frieden finden könnten, sagt Gorholt. Auf der Flucht vor dem IS waren viele Jesiden aus Sinjar in das Kurdengebiet im Nordirak geflüchtet, wo sie in Lagern leben.

„Es ist besonders wichtig, für die Menschen Perspektiven vor Ort zu schaffen“, erklärte der Staatskanzleichef. Brandenburg gibt deshalb 495 000 Euro für ein gemeinsam mit dem Verein „Mission East“ gebautes Gemeinschaftszentrum, dass sich an zwei Standorten jeweils in der Nähe von Sinjar City insbesondere an Frauen, Kinder und Jugendliche richtet. Fast 300 Jugendliche hätten laut Gorholt bereits an Mathematik- und Alphabetisierungskursen teilgenommen, etwa 150 Jugendliche und 140 Frauen an berufsbildenden Trainings

Berliner Schutzprogramm für Jesiden könnte folgen

Dass es fast drei Jahre gedauert hat, bis die ersten Jesiden tatsächlich in Brandenburg aufgenommen wurden, erklärt Gorholt mit den komplizierten Formalitäten. Die Verhandlungen mit dem Bund hätten sich bis Januar 2019 hingezogen. Zudem mussten die für das Programm infrage kommenden Menschen, die vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) ausgewählt wurden, erst eine Sicherheitsüberprüfung bestehen. Denn man wisse nicht, was Menschen, die in Gefangenschaft des IS waren, dort genau erlebt hätten, erläuterte Gorholt.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Kinder und Jugendliche von der Terrormiliz umerzogen und zu Kämpfern ausgebildet wurden. Einem Jugendlichen wurde laut Gorholt nach dem Sicherheitscheck die Aufnahme in Brandenburg verweigert.

SPD, CDU und Grüne haben bei ihren aktuell laufenden Koalitionsverhandlungen ein Aufnahmeprogramm für Flüchtlinge aus humanitären Notlagen beschlossen. Jährlich soll 200 Menschen geholfen werden. Ob darüber auch weitere Jesiden aufgenommen werden können – das spezielle Programm ist mit der Aufnahme in diesem Jahr beendet –, sei noch unklar, sagte Gorholt.

Auch das Abgeordnetenhaus in Berlin hat sich 2018 mit rot-rot-grüner Mehrheit für ein Schutzprogramm unter anderem für Jesiden ausgesprochen. Die Umsetzung dürfte noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Marion Kaufmann

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