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Berlin: Himmlische Zelte

Keine Angst vor leeren Kirchen: Berlins Christen planen neue Gotteshäuser, auch interreligiöse.

In Kreuzberg verwandelt sich gerade eine Kirche in eine Kunstgalerie, andere Kirchengebäude werden zu Bibliotheken oder Wohnräumen. Es gibt immer weniger Kirchenmitglieder, manche Kirche steht leer, oft fehlt das Geld zur Renovierung. Gleichzeitig verfolgen Christen an mehreren Orten in der Stadt ehrgeizige Pläne und wollen neue Gotteshäuser bauen. Der Rohbau der orthodoxen Kirche an der Heerstraße ist fertig, sonntags feiert die rumänisch-orthodoxe Gemeinde ihre Gottesdienste bereits in der neuen Krypta im Untergeschoss. Auch auf dem Petriplatz in Mitte und auf dem Tempelhofer Feld sollen in Zukunft Gotteshäuser stehen. Das Besondere an diesen beiden Projekten: Christen, Juden und Muslime wollen gemeinsam bauen.

Vergangenen Freitagmittag tat sich auf einmal etwas auf dem sonst so öden Petriplatz an der befahrenen Gertraudenstraße. Architekten gingen über die Brache, schauten auf den Boden und in den Himmel, machten sich Notizen. Sie beteiligen sich an einem internationalen Architekturwettbewerb, den die evangelische Petri-Marien-Gemeinde und das Land Berlin ausgeschrieben haben. Bis Mitte August wollen sie Entwürfe für einen neuen Sakralbau an dieser Stelle einreichen. Eine Jury unter Vorsitz von Hans Kollhoff wählt die besten Ideen aus. Die Aufgabe ist nicht einfach, denn erstmals in Berlin wollen Christen, Muslime und Juden unter einem Dach, aber in getrennten Räumen Gottesdienste feiern – und doch auch Platz für gemeinsame Treffen haben.

„Berlin war und ist eine Stadt der Zuwanderer, die ihre Religionen mitgebracht haben“, sagt Pfarrer Gregor Hohberg von der Petri-Marien-Gemeinde, die das Projekt angestoßen hat. „Diese religiöse Vielfalt wollen wir abbilden, und zwar dort, wo Berlin entstanden ist, am Petriplatz, am Ursprungsort der Stadt.“ Seit dem 13. Jahrhundert standen auf dem Petriplatz fünf Kirchen. Die letzte wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt und 1964 gesprengt.

Im Oktober gründete sich der Trägerverein „Lehr- und Bethaus Petriplatz“, beteiligt sind neben der Petri-Marien-Gemeinde das islamische Forum für interkulturellen Dialog, die Jüdische Gemeinde, die Rabbiner-Ausbildungsstätte Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam und das Land Berlin. Wenn feststeht, wie das Gebäude aussehen und wie viel es kosten wird, will man einen Bauantrag stellen und sich um Sponsoren bemühen. Denn mit Geld von der evangelischen Landeskirche oder dem Land ist kaum zu rechnen.

Auch in Neukölln verfolgen Christen, Juden und Muslime ambitionierte Pläne. Vor zwei Wochen haben sie den Verein „Treffpunkt Religion und Gesellschaft“ gegründet und wollen ein gemeinsames Bildungs- und Begegnungszentrum auf dem Tempelhofer Feld errichten. Hier sollen sich Menschen unterschiedlicher Religionen aber auch Religiöse und Nicht-Religiöse austauschen und von einander lernen. Der Verein wird getragen vom evangelischen Kirchenkreis Neukölln, dem katholischen Diözesanrat, dem „Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus“ unter Vorsitz von Lala Süsskind und dem islamischen Verband Ditib, zu dem die Sehitlik-Moschee am Columbiadamm gehört. „Unser Ziel ist ein Raum, in dem wir mit anderen Menschen ins Gespräch kommen und zeigen können, dass Religionen etwas Positives zur Gesellschaft beitragen“, sagt Pinar Cetin von der Ditib. Anders als am Petriplatz wollen die Neuköllner nicht gleich mit dem Maximalen, mit der Architektur beginnen, sondern erst mal gemeinsam Projekte auf die Beine stellen und sich den Berlinern auf dem Tempelhofer Feld mit einem vorläufigen „Himmelszelt“ oder einem Pavillon vorstellen.

Am Donnerstagabend traf man sich in der evangelischen Genezareth-Kirche auf dem Herrfurthplatz, um zusammen mit Vertretern aus der Stadtentwicklungsverwaltung über einen Standort und erste Aktivitäten nachzudenken. Auch Ehrhart Körting, bis vor kurzem Berliner Innensenator, ist gekommen. „Dass die Religionen miteinander ins Gespräch kommen, aber auch die Religiösen und die Nicht-Religiösen, das ist für den Frieden in der Stadt unerlässlich“, sagt er. Deshalb macht er bei dem Projekt mit. Ein Sommerfest soll es geben, vielleicht einen Flashmob oder eine „Startbahn“, auf der die Berliner ihre Wünsche zu Gott schicken können. Man will Sponsoren suchen und nach öffentlichen Fördermöglichkeiten Ausschau halten, damit es nicht allzu lange dauert, bis das Tempelhofer Feld auch zu einem „Kraftfeld Religion“ wird.

Auf dem Bethlehemkirchplatz Ecke Krausen- und Mauerstraße in Mitte hat es nur viereinhalb Jahr gedauert, bis die neue Kirche fertig war. Allerdings steht sie auch nur bis Ende September und auch nur in ihren Umrissen. Es ist ein Kunstprojekt des Spaniers Juan Garaizabal. Seit 2008 macht er mit Installationen in europäischen Städten auf verschwundene Gebäude aufmerksam. Zunächst hatte er den Anhalter Bahnhof für eine Installation im Rahmen seiner „Memorias Urbanas“ ins Auge gefasst, doch dann hat er sich in den Bethlehemkirchplatz verliebt. Dort stand von 1737 an eine Rundkirche, in der die böhmischen Glaubensflüchtlinge beteten, deren Nachkommen heute im „Böhmischen Dorf“ in Rixdorf leben. 1943 wurde die Kirche von einer Bombe getroffen, 1964 wurden die Reste gesprengt. Seit einigen Jahren markieren farbige Pflastersteine ihren Grundriss auf dem Platz. „Der Platz hat eine unglaubliche Energie“, sagt Juan Garaizabal, „er wartet geradezu darauf, dass die Kirche zurückkommt“.

Und so hat er mit einer 31 Meter hohen und 24 mal 21 Meter weiten Metallkonstruktion die Umrisse der Kirche nachgezeichnet. Nachts leuchten die Rundbögen und scheinen über dem Boden zu schweben. Die Kirche ist für Garaizabal auch ein wichtiges Symbol für die Religionsfreiheit und Großzügigkeit, die Preußen Glaubensflüchtlingen gewährte. Am 26. Juni will die böhmische Gemeinde die Installation mit einem Gottesdienst im Inneren einweihen – und so an den letzten Gottesdienst 1943 erinnern. Ein Kreis schließt sich.

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