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Berlin: Hinter den Kulissen: Die Berliner Krise

Immer auf Harmonie ist Eberhard Diepgen bedacht. Und seine kunstvolle Art, Kompromisse zu stiften, hat er so verinnerlicht, dass er es auch aus dem kleinsten Anlass tut.

Immer auf Harmonie ist Eberhard Diepgen bedacht. Und seine kunstvolle Art, Kompromisse zu stiften, hat er so verinnerlicht, dass er es auch aus dem kleinsten Anlass tut. So am Dienstag, als zu Beginn der Senatssitzung ein bisschen über Peter Strieders Vorliebe für lateinische Sprüche gefrotzelt wurde. Der meinte herausfordernd, man könne sich ja mal Lateinisch unterhalten. Darauf Deutsch-Schützer Eckart Werthebach: "Gegen Latein habe ich gar nichts, nur gegen Denglisch!" Auf den Zuruf: "Hier haben doch sicher einige das große Latinum", setzte Strieder einen drauf: "Oder das große Graecum!" Werthebach korrigierte ihn: "Es gibt kein großes Graecum!" Prompt beendete Schlichter Diepgen das Geplänkel mit einer beschwichtigenden Handbewegung: "Das Graecum ist immer groß. Darauf können wir uns doch alle verständigen." Und damit konzentrierte sich alles auf den Ernst der Sitzung, die wie üblich hinterher als "sehr sachlich" gerühmt wurde. Nichts deutete darauf hin, dass Strieder und Klaus Böger soeben bei Diepgen waren und förmlich die Einberufung des Koalitionsausschusses wegen der Krisenlage beantragt hatten.

Zu schön, dass nicht der Senat, sondern bloß die Koalition in der Krise steckt. Ein anderer Diepgen bestimmte die Themen im Koalitionsausschuss. Dort, meinte er, habe das Thema Bankgesellschaft nichts zu suchen. Die SPD reagierte beleidigt, und so kommt es denn, dass am Sonntag beide Seiten getrennt über die Bankgesellschaft reden. Aber am Montag kommt bestimmt alles wieder im Koalitionsausschuss auf den Tisch. Klaus Landowsky ist dann dabei; noch kämpft er um seinen CDU-Fraktionsvorsitz. Sein Intimus und Fraktionssprecher Markus Kauffmann rasselt mit den Waffen: "Was hier versucht wird, ist Elitenvernichtung!"

Schwere politische Turbulenzen unterscheiden sich von künstlicher Aufregung dadurch, dass plötzlich alles verstummt. So war es, als bei Töchtern der Bankgesellschaft die Köpfe rollten und Landowsky flugs seinen Stuhl als Chef der Berlin Hyp selbst räumte. Die CDU-Zentrale war verwaist: Generalsekretär Ingo Schmitt als Europa-Abgeordneter in Brüssel durch keinen Lockruf erreichbar, Landesgeschäftsführer und Pressesprecher Matthias Wambach leider gar nicht orientiert, da privat außerhalb Berlins, Markus Kauffmann total unwissend. Die Senatssprecher waren auch nicht da: Michael-Andreas Butz in Urlaub, und ach, sein Stellvertreter Helmut Lölhöffel wegen Sprachlosigkeit zu Hause. So anstrengend sind Krisen. Lölhöffel war eine verschleppte Erkältung auf die Stimmbänder geschlagen; er hatte doch wegen des Butz-Urlaubs durchhalten wollen. Nur konnte der Sprecher ohne Stimme nichts ausrichten.

Weise verzichtete die Grünen-Fraktionschefin Sibyll-Anka Klotz auf eine eigene Veranstaltung zum Internationalen Frauentag; sie wollte den Tag nicht überfrachten. Deshalb verschickte sie solidarische Grußkarten mit einer Karikatur, die eine vor Erschöpfung vom Denkmal gefallene Dame zeigt. Unterschrift: "Die engagierte unbekannte Frau." Auf der Karte ist ein fiktiver überfüllter Veranstaltungskalender am 8. März zu sehen. Nicht alle verstanden die Ironie, wie Frau Klotz an Anrufen merkte. Einige wollten sich zu der (fiktiven) "frauenpolitischen Stadtrundfahrt" anmelden.

Adressiert an den Landesverband der Grünen in Kreuzberg ging ein Brief ein - an die neue Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt persönlich. Was Martin S. aus Aachen geschrieben hat, weiß Vorstandssprecherin Regina Michalek nicht, sie leitete den Brief an die Ministerin weiter. Das teilte Frau Michalek Herrn S. mit der Anmerkung mit, noch sei Frau Schmidt nicht Mitglied der Grünen, "aber was nicht ist, kann ja noch werden". Ulla Schmidt gehört der SPD an. Ihre Vorgängerin Andrea Fischer (Grüne) nahm die Verwechslung als Beweis, welch nachhaltigen Eindruck doch ihre Gesundheitspolitik gemacht habe.

Eine nette Einladung bekam der Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu, nämlich zum Festakt der Feuerwehr am 1. März anlässlich ihres 150-jährigen Bestehens. Nur musste die Feuerwehr ohne ihn feiern. Die Einladung kam ausweislich des Eingangsstempels erst am 5. März im Parlament an. Mutlu dachte sich sein Teil: "Hauptsache, die Feuerwehr kommt beim Löschen nie zu spät. Sonst wäre es eine Katastrophe."

Frederik Over hat sein wechselvolles Leben (Melker, Markthändler, Hausbesetzer, Kleinunternehmer, PDS-Abgeordneter) um eine neue Variante bereichert. Sehr zur Überraschung seiner Fraktion hat der Niedersachse auf dem Standesamt Friedrichshain seine jahrelange Lebensgefährtin Anette geheiratet - brav im weißen Hemd und feinen Jackett. Bereits acht Tage später wurde er am Mittwoch Vater des Babys Anna. "Liegt gut im Arm", meinte er. "Jetzt fehlt nur noch die Investition in einen komfortablen Immobilienfonds, um die Rückkehr eines Rebellen in die bürgerliche Welt zu dokumentieren", witzelte der Fraktionssprecher Günter Kolodziej ätzend - immer auf Kosten Landowskys und der Bankgesellschaft.

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