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Berlin: Hinter der Girlreihe

Der Friedrichstadtpalast feiert Geburtstag – den seines Regisseurs Jürgen Nass

Bei tropischen 30 Grad mit kühlem Kopf an Weihnachten zu denken, ist gewiss nicht einfach. Jürgen Nass muss es beruflich. Der Spielleiter des Friedrichstadtpalastes, Regisseur und Co-Autor von Revuen wie „Elements“, „Classics“, „Cinema“ und „Casanova“ , ist aktuell mit der nächsten Revue zum Fest beschäftigt. Sozusagen in der „intellektuellen Vorbereitung“ sei man mit „Jingle Bells“, sagte Nass.

„Nassi“ nennen ihn seine Kollegen und Freunde, die ihn heute im hauseigenen Revue-Café „Josephine“ mit etlichen Überraschungen hochleben lassen wollen. Nicht nochmals für den kreativen Anteil am Erfolg der „Glanzlichter“, die anlässlich der WM bis zum 9. Juli täglich in der Friedrichstraße funkeln – „mit Kraft, Bauch und Seele“, so hatte der Künstlerische Leiter Thomas Münstermann zur Premiere den Einsatz aller Beteiligten an der Revue gelobt.

Nein, der Anlass von allerlei Heimlichkeiten seit Tagen im Haus ist vielmehr ganz privat – Jürgen Nass muss ab heute die sechste Null seines Lebens akzeptieren. Einen Großteil davon verbrachte er im Friedrichstadtpalast – da war es für ihn Ehrensache, die Sechzig dort zu feiern, wo er 1984 als Regieassistent in sein zweites künstlerisches Berufsleben startete. Ein Betriebsunfall mit schwerer Wirbelsäulenverletzung hatte sein vorheriges beendet – 17 Jahre lang tanzte Jürgen Nass an der Staatsoper, acht davon als Solist. Den Gladiatoren Crixus in „Spartacus“ hat er am liebsten getanzt, ansonsten „muckte“ er auf anderen Ost-Berliner Bühnen auch gern in Rollen, wo er alles können musste, auch sprechen.

Dass er sich da schon zu Ost-Zeiten mit seiner „Mausi“ in seinem Heimatbezirk Treptow ein Haus leisten konnte, war das pekuniäre Ergebnis dieser Beweglichkeit. Noch dazu, wo „Mausi“, wie Nass seine Ehefrau Birgitta liebevoll nennt, als Tänzerin im Fernsehballett ihr Scherflein beisteuerte. Auf der Staatlichen Ballettschule Dresden, weltberühmt als Palucca-Schule, hatten sie sich kennen gelernt und nach zehn Jahren „wilder Ehe“ 1973 geheiratet. Mit Sohn Sebastian war 1974 die Familie Nass komplett.

Für Jürgen Nass wäre in der DDR beinahe alles ganz anders gekommen. Gret Palucca hatte den im wahrsten Sinne des Wortes springlebendigen kleinen Treptower im Kinderballett des Ost-Berliner Großbetriebs EAW entdeckt und ihm Tanzen als Beruf schmackhaft gemacht. An ihrer Schule in Dresden eckte der bis 1961 zwischen Ost und West verkehrende Junge – „am 13. August habe ich im Delphi noch ,Porgy and Bess’ gesehen“ – bei einer linientreuen Lehrerin so „westlich“ an, dass Strafe angesagt war: Ein Jahr Vier-Schichten-Arbeit im Stahlwerk Riesa. Da war Jürgen Nass gerade mal 14 Jahre alt.

Heute ist er 60 und Riesa eine Anekdote. Seine Schulden leider nicht. Nach der Wende wollte er es mit seiner „Mausi“ wissen und eröffnete im Nachbarhaus ein Café und eine Ballettschule. An Frührente ist da kein Gedanke. hema

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