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Begehrte Diebesbeute. Traktoren und Landmaschinen aller Art werden vielfach auf Bestellung gestohlen und dann nach Weißrussland, Russland oder in die Ukraine verschoben.

© dpa/Patrick Pleu

Berlin: Hinter der Grenze verliert sich die Spur

Bauern in der Uckermark sind verzweifelt. Trotz aufwendiger Sicherungssysteme werden immer wieder Landmaschinen gestohlen Die Unternehmen fordern mehr Polizeipräsenz an den Brücken nach Polen. Jetzt werden weitere Einheiten eingesetzt.

Crussow - Sorgenvoll blickt Landwirt Olaf Radecker auf den Kalender und überschlägt die Zeit bis zur Frühjahrbestellung seiner Felder. „Verdammt knapp“, sagt der 51-Jährige. „Ich brauche schnell zwei neue Traktoren. Sonst geht der Betrieb mit 21 Leuten pleite.“ Er greift an seine Brille, schließt die Augen und schüttelt den Kopf. „Meine Maschinen stehen jetzt in irgendeiner Scheune im Osten. Ukraine, Weißrussland oder Russland. Diese verdammten Banden.“

Nachts um drei drangen die Diebe auf das Grundstück am Rande des verträumt wirkenden Dorfes Crussow bei Angermünde, 80 Kilometer nordöstlich Berlins. Sie zerschnitten den Zaun, brachen die Türen zu den drei abgestellten Traktoren auf und setzten zwei von ihnen in Gang. Mit ihnen verschwanden sie ungestört über die Oderbrücke im nahen Schwedt nach Polen. „Dafür gibt es sogar Zeugen“, sagt Olaf Radecker. „Solche Traktoren fallen schließlich in der Nacht auf.“ Niemand habe die Polizei verständigt. „Es hätte ohnehin nichts genutzt. Ehe die eintrifft, sind die Diebe doch längst über alle Berge.“

Die Versicherung hat den Zeitwert ersetzt und rund 100 000 Euro überwiesen. Dafür bekommt Radecker aber keine zwei Traktoren. „Ich gehe bei den Banken Klinken putzen, damit sie mir einen Kredit über weitere 100 000 Euro bewilligen.“ Für die 2500 Hektar Getreide- und Maisfelder braucht er drei Maschinen, zumal die eine beim Diebstahlversuch beschädigt wurde. Zu seinem Verlust kommen noch die 5000 Euro Selbstbeteiligung, die inzwischen jede Versicherung für Land- und Baumaschinen in den grenznahen Regionen verlangt. Kleinere Diebstähle wie der „fast alltägliche Dieselklau“ werden deshalb hier kaum noch angezeigt.

Der eigentlich recht ruhig wirkende Landwirt kocht vor Wut. „So kann es einfach nicht weitergehen. Die ganze Uckermark geht an den Diebstählen zugrunde. Wir können seit dem Abzug der Polizei von der Grenze kaum noch ruhig schlafen. Vier Jahre geht das jetzt so.“ Er hat deshalb zusammen mit rund 90 von schweren Diebstählen betroffenen Unternehmen aus dem Grenzstreifen von Angermünde bis kurz vor Stettin eine Petition an den Brandenburger Landtag unterschrieben. Darin flehen sie die Politiker regelrecht um Hilfe an. Jeder Betrieb habe im Schnitt 27 500 Euro durch Diebstähle verloren, zusammen ergebe das für die Unternehmen einen Verlust von mehreren Millionen Euro.

„Die Kriminellen spähen unsere Betriebe ganz gezielt aus und klauen dann auf Bestellung“, meint Firmenchef Michael Branding aus Angermünde. „Oft handelt es sich beispielsweise um teure Spezialmaschinen oder je nach Saison um Saatgut oder Spritzmittel.“ Dafür stehe der Abnehmer lange vor dem eigentlichen Diebstahl fest. Branding, der selbst durch Einbrüche Verluste von mehreren zehntausend Euro beklagen musste, hat auf eigene Faust im Nachbarland recherchiert und nach seinen geklauten Geräten Ausschau gehalten. „Polen ist für die meisten Diebe nur Transitland“, meint er. „Die dortige Polizei interessiert sich inzwischen ziemlich genau für die Herkunft ausländischer Autos sowie Bau- und Landmaschinen und verlangt Papiere. Deshalb werden die großen Geschäfte mit unserem Eigentum erst hinter der Grenze Polens zur Ukraine und Weißrussland gemacht.“ Ältere Technikausrüstung werde aber auch über Rotterdam nach Afrika und Asien verschifft.

Branding hat für 25 000 Euro einen neuen Zaun um sein Firmengelände voller Landmaschinen bauen lassen. Es hat nichts genutzt. Die Diebe kommen dennoch regelmäßig, oft mit schweren Geräten. Auf seinen Vorschlag an die Sicherheitsfirma, rundum Videokameras zu installieren, erntete er nur ein müdes Lächeln. Die Aufnahmen seien zwar gestochen scharf, würden aber von der Polizei in Osteuropa nicht anerkannt. So weit reiche der Arm von Interpol nicht. „Die Sicherheitsleute rieten mir deshalb, das Geld in alle Dinge zu investieren, die viel Krach machen. Das wäre immer noch das beste Mittel zum Vertreiben der Einbrecher“, erzählt Branding.

Tatsächlich bewahrt selbst modernste Technik die Maschineneigentümer nicht davor, von den Dieben heimgesucht zu werden, wie der Fall von Reiner Häusler aus Angermünde zeigt. Er war durch das Piepen auf seinem Laptop aufgewacht. Diebe hatten einen seiner Lastwagen mit Ladekran vom Firmengelände gestohlen. Auf dem Monitor konnte er das GPS-Signal verfolgen. Er verständigte sofort die Polizei und machte sich zusätzlich mit seinem Sohn auf nächtliche Verfolgungsjagd. Diese führte ihn rund 70 Kilometer über Landes- und Bundesstraßen sowie über die Autobahn bis hinter die polnische Grenze vor Stettin. Dort verlor sich das Signal. Erfahrungsgemäß verstecken die Autoknacker die gestohlenen Fahrzeuge in abgeschirmten Hallen, aus denen nichts nach draußen dringt. „Kein einziger Streifenwagen hat es geschafft, meinen Lkw vor dem Übergang zu stoppen“, reagiert Häusler wütend. „Wenn die Grenzbrücken noch bewacht gewesen wären, hätte es das nicht gegeben.“ Die Polizei will die Umstände des konkreten Falls prüfen und vermutet „Kommunikationsprobleme“.

Für den Holzfäller Udo Schellner, dem Diebe eine 300 000 Euro teure Maschine gestohlen hatten und mit dieser aber im Morast steckengeblieben waren, liegt der Grund für die zugespitzte Lage auf der Hand: „die fehlende Polizeipräsenz“. Da brauche man gar nicht mit Fingern auf bestimmte Nationalitäten zeigen. Auch viele Deutsche mischten in den krummen Geschäften mit. Falls doch jemand erwischt werde, komme er mit milden Strafen davon. Er selbst sei es langsam leid, sich ständig um die Bewachung seines Fuhrparks zu kümmern. „Ich will so wie meine Berufskollegen in anderen Landesteilen in Ruhe arbeiten, nicht ständig in Angst vor dem nächsten Verlust leben und mich mit Schadensregulierungen herumschlagen. Dafür zahle ich schließlich Steuern.“

Dabei wäre es auch aus Sicht der Unternehmer gar nicht so schwer, die Wege nach Polen zu überwachen. Die Grenze in Brandenburg bilden schließlich bis auf wenige Kilometer vor Stettin ausschließlich die Oder und die Neiße. Polizeipräsident Arne Feuring will jedoch die genauen Einsatzorte seiner in dieser Woche zusätzlich an die Grenzbereiche beorderten drei Hundertschaften Bereitschaftspolizei nicht verraten. „Da denken wir uns mit der Bundespolizei, der auf 90 Beamten aufgestockten Sonderkommission Grenze und dem Zoll schon ein ausgeklügeltes Konzept aus“, sagt er.

Die Unternehmer bleiben dennoch skeptisch. „Wenn Brandenburg die Grenzen wirklich besser kontrolliert, weichen die Banden eben ins nahe Vorpommern oder nach Sachsen aus“, befürchtet Firmenchef Michael Branding. „Ihre Gewinnspanne ist so hoch, dass Umwege für sie keine Rolle spielen. Am Ende sind wir wieder dran.“

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