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Heck im Blick. Eine Software bereitet die Bilder für den Fahrer so auf, dass er das Hindernis deutlich erkennt und gewarnt wird.

© DAVIDS

Berlin: Hinterm Lkw geht’s weiter

Weil Müllwagen Unfälle verursachen, testet die BSR eine lebensrettende Rangierhilfe.

Berlin - Der 17-Jährige hatte Kopfhörer auf, als er an jenem Junitag 2012 den Spieroweg entlanglief. Eine Sackgasse in Staaken, in der kaum ein Dutzend Autos am Tag fahren – und der Müllwagen, der hier nicht wenden kann und die schmale Straße rückwärts verließ. Das Piepen des 25-Tonners vermochte die Musik in den Ohren des Jugendlichen nicht zu übertönen, und der Fahrer des Müllwagens bemerkte ihn selbst dann nicht, als er ihn anfuhr. 20 Meter schleifte er den Jugendlichen mit. Der alarmierte Notarzt konnte ihn nicht mehr retten.

Etwa drei derart tragische Unfälle geschehen pro Jahr bei Entsorgungsunternehmen in Deutschland. Hinzu kommen rund 200 kleinere Rempler allein bei den knapp 400 Müllwagen der Berliner Stadtreinigung: Mal übersieht der Fahrer einen Poller, mal schwenkt das Heck in einer engen Kurve gegen ein Auto – im schlimmsten Fall, wenn gerade ein Müllwerker auf dem Trittbrett an der Ecke mitfährt. Zwar ist beim Rückwärtsfahren ein Einweiser vorgeschrieben, aber Menschen machen eben Fehler, zumal, wenn sie in Eile sind.

Ab sofort testet die BSR im Berliner Alltagsbetrieb eine mögliche Lösung für dieses Problem: Der Landesbetrieb hat einen Rückfahrassistenten in Auftrag gegeben, der Hindernisse und Menschen erkennt. Entwickelt wurde er von Autonomos, einem von Studenten der FU ausgegründeten Start-up. Acht Digitalkameras beobachten das Geschehen hinter dem Lkw. Statt den Fahrer mit wildem Gepiepe gleichermaßen vor Menschen und Grashalmen zu warnen wie herkömmliche Einparksensoren, berechnet eine Software ein räumliches Bild und zeigt das Hindernis auf einem Monitor vor dem Fahrerplatz – in grellem Rot und so deutlich, dass der Fahrer sicher erkennt, worum es sich handelt. Falls es nur der Kollege ist, der in einer engen Straße unvermeidlich hinter dem rangierenden Lkw steht, lässt er sich als „zur Kenntnis genommen“ markieren und der zugehörige Warnton abstellen. Wenn in der nächsten Sekunde ein Passant in die Gefahrenzone läuft, wird er trotzdem erkannt und der Fahrer gewarnt. Alarm gibt es auch, wenn der Fahrer rückwärts fahren will, obwohl ein Kollege hinten auf dem Trittbrett steht. Das ist ausdrücklich verboten.

Wie interessant die Entwicklung für die Betreiber von Lastwagen ist, zeigte die Gästeliste bei der Vorführung. Vertreter von BVG und Wasserbetrieben waren ebenso dabei wie von Unfallkassen und Berufsgenossenschaft. Wenn sich das System bewährt, soll es im nächsten Schritt mit einer automatischen Bremse gekoppelt werden, die schneller reagieren kann als jeder Einweiser. Aber erst muss die Technik zeigen, dass sie den Alltag mit ständigen Erschütterungen, morgendlichen Fahrten im Dunkeln und verdrecktem Fahrzeugheck verträgt. Sie soll auch erkennen, wenn sich jemand unter den gerade vom Lift in den Laderaum gestülpten Tonnen befindet – etwa ein Müllwerker, der etwas vom Boden aufhebt.

Das Bundesforschungsministerium hat das Projekt mit zwei Millionen Euro gefördert. In der Branche wird gemutmaßt, dass die Technik eines Tages für alle neuen Lkw oder Müllwagen vorgeschrieben wird, sofern sie sich bewährt.

Die Zahl der Assistenzsysteme, die menschliche Fehler im Verkehr ausgleichen, wächst stetig. Ab Ende 2015 müssen alle neuen Lastwagen in der EU mit Abstandsradar ausgerüstet sein, das den Fahrer vor Hindernissen warnt und notfalls bremst. Meldungen mit der Überschrift „Lkw raste ungebremst in Stauende“ sollen so Geschichte werden.

Trotz vielversprechender Versuche noch immer nicht serienreif sind seitliche Sensoren, die Lkw-Fahrer beim Rechtsabbiegen vor Radfahrern warnen. Jedes Jahr sterben bei solchen Unfällen allein in Berlin etwa fünf Menschen. Die Arbeit wird den FU-Studenten so schnell also nicht ausgehen.Stefan Jacobs

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