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Berlin: Hitlers letzter Unterschlupf: Der Mythos ist entzaubert

Der „Führerbunker“ liegt unter einem Parkplatz. Seit gestern erzählt eine Informationstafel mehr über das Areal, auf dem der Krieg zu Ende ging

Immer mehr Reisegruppen schwirrten um diesen Ort mit seiner versunkenen, weggesprengten und mit Beton und Gras überdeckten Geschichte. Immer öfter kamen sie vom nahen Holocaust-Mahnmal herüber und fragten: „Where is the Bunker?“ Und immer kurioser waren die Storys, die mancher Fremdenführer zum Besten gab. Da wimmelte es von unterirdischen Geheimgängen, auch soll ein Tunnel zwischen diesem Ort und dem Flughafen Tempelhof existiert haben. „Alles Quatsch“, sagt Dietmar Arnold. Der Vorsitzende des Vereins „Berliner Unterwelten“ entzaubert den Mythos, der sich um den einstigen „Führerbunker“ rankte, mit einer informativen Schautafel. Die steht seit gestern am Rande jenes Areals hinter der früheren Reichskanzlei, auf dem sich einst der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler einen bombensicheren Bunker bauen ließ. Hier nahm er sich am 30. April 1945 das Leben, das Dritte Reich war beendet, kurz zuvor hatte er noch an seinem Schreibtisch in diesem Betonsarg den berüchtigten „Nero-Befehl“ unterschrieben – die Zerstörung sämtlicher Lebensgrundlagen der deutschen Zivilbevölkerung. Als ob 55 Millionen Tote dem Massenmörder noch nicht genug waren.

Bis gestern gab es keine offizielle Kennzeichnung dieses Ortes. Der Bunker – so erzählt es jetzt sachlich und prägnant die Informationstafel in Deutsch und Englisch – war am 5. Dezember 1947 zum ersten Mal von sowjetischen Pionieren gesprengt worden. Die Zwischenwände fallen, die Decke verschiebt sich um 40 Zentimeter. Nach weiteren Sprengversuchen wird das Gelände im Sommer 1959 eingeebnet, nur noch ein Grashügel bleibt. Nach dem Mauerbau liegt der Betonhaufen im Grenzgebiet. Von der damaligen Otto-Grotewohl-Straße (der heutigen Wilhelmstraße) ahnten nur Kundige, was sich unter dem Hügel verbarg. Noch vor dem Mauerfall werden auf dem einstigen Gelände der Reichskanzlei und des Regierungspalais’ an der Wilhelmstraße Wohnungen gebaut. Dafür werden, streng geheim!, die vier Meter dicken Wände des Führerbunkers gesprengt, Bodenplatte und Außenwände bleiben erhalten, der Hohlraum wird mit Sand, Schutt und Kies gefüllt. Eine kleine Grünanlage, Kinderspielplatz und Parkplatz bleiben übrig. Where is the Bunker?

Jahrelang scheiterte das Projekt, den Ort kenntlich zu machen, an der Furcht vor Neonazikult, nun sind Vernunft und Respekt vor historischem Interesse und Wissbegier stärker als alte Bedenken. Der Bunker wird auf der Tafel als Geschichtszeugnis dargestellt, das Projekt wurde vom Historiker Laurenz Demps befördert und hat den Segen vom Landesdenkmalamt. Marc-Torben Lerch vom Holocaust-Mahnmal freute sich gestern mit den Unterweltlern über die Kennzeichnung des Ortes: „Wenn wir für jede Auskunft nach dem genauen Standort des Führerbunkers einen Euro verlangt hätten, wären wir ziemlich reich.“

Die illustrierte Infotafel steht neben der Einfahrt zum Parkplatz an der Ecke Gertrud-Kolmar-Straße/In den Ministergärten. Sie zeigt einen Lageplan der Räumlichkeiten von Hitlers letztem Unterschlupf und beschreibt zudem sämtliche 14 in der Nähe liegenden, überbauten oder versiegelten Bunker wie dem der Reichskanzlei. Genau erinnerte sich gestern der letzte Zeitzeuge, Rochus Misch. Hitlers Bodyguard und Telefonist hatte „den Führer“, Eva Braun und Joseph Goebbels in ihrem Untergang noch erlebt. Immer größer wird das Interesse, sagt er, 500 Briefe vor allem junger Menschen seien zu beantworten, und weil nun sogar nachts um drei aus Kasachstan angerufen wird, hat Rochus Misch die Nase voll und – sein Telefon abgemeldet.

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