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Berlin: Hitlers willige Helfer in Weiß

In der NS-Zeit unterstützten Ärzte die Juden-Vertreibung. KV gedachte in Synagoge und will Geschichte aufklären

Sie waren Internisten, Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten, Chirurgen, Kassenärzte. 7000 bis 8000 jüdische Ärzte lebten Anfang 1933 im Deutschen Reich, die Hälfte von ihnen praktizierte in Berlin. Ende 1938 waren noch wenige von ihnen übrig. „Arzt“ durften sie sich nicht mehr nennen, der Nazi-Sprachgebrauch hatte für sie das Wort „Krankenbehandler“ übrig.

Nach dem Ende der Naziherrschaft waren fast alle jüdischen Ärzte aus Berlin verschwunden. So wie etwa Victor Aronstein, der praktische Arzt aus Hohenschönhausen, der ins Ghetto Litzmannstadt deportiert wurde und vermutlich im Konzentrationslager Auschwitz starb. Oder die Internistin und Kinderärztin Lucie Adelsberger aus Mitte, die Auschwitz überlebte, aber Deutschland nie wiedersehen wollte.

Am Sonntag, 64 Jahre nach den Novemberpogromen, wurde im Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße erstmals der ermordeten und vertriebenen jüdischen Ärzte gedacht. „Jeder von ihnen hat einen Namen“, sagte Alexander Brenner, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, in seiner Ansprache. Roman Skoblo, Vorsitzender des Bundesverbandes Jüdischer Ärzte in Deutschland, mahnte eindringlich: „Die Erinnerung ist uns ein religiöses Gebot.“

Die Gedenkstunde war Teil eines bundesweit bislang einmaligen Projekts, das die Kassenärztliche Vereinigung Berlin (KV) zur Erforschung des dunkelsten Kapitels ihrer Geschichte ins Leben gerufen hat. Denn die „arischen“ Ärzte und ihre Organisationen waren während der Nazi-Diktatur keine unbeteiligten Zuschauer. Im Gegenteil, gerade die Kassenärztliche Vereinigung beteiligte sich mit so vorauseilendem Gehorsam an der Ausschaltung der jüdischen Mediziner-Kollegen, dass sie sogar durch das Reicharbeitsministerium gebremst werden musste. „Sie waren vom ersten Tag an verlässliche Erfüllungsgehilfen", sagt Professor Gerhard Baader vom Berliner Institut für Geschichte der Medizin. Eine Wissenschaftlerin dieses Instituts, die Medizinhistorikerin, Rebecca Schwoch, wurde jetzt von der KV Berlin beauftragt, die unrühmliche Rolle der deutschen Ärzteschaft, von der fast die Hälfte NSDAP-Mitglieder waren, zu untersuchen.

Was sich 57 Jahre nach dem Holocaust selbstverständlich anhört, war es lange Zeit nicht. Bis in die 80er Jahre hinein, sagt der Vorstandsvorsitzende der KV Berlin, Manfred Richter-Reichhelm, habe die KV jegliche Auseinandersetzung mit ihrer Nazi-Vergangenheit verhindert. Und es ist noch nicht vorbei: Richter-Reichhelm erzählt von Leserbriefen mit „eindeutigem Nazi-Vokabular“, die an die Zeitschrift „Berliner Ärzte“ geschickt wurden. Auch bei einem Vortrag von Rebecca Schwoch seien von Zuhörern „schockierende Äußerungen“ zu hören gewesen.

Markus Horeld

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