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Ministerpräsident Matthias Platzeck auf dem Deich von Mühlberg.

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Update

Hochwasser in Brandenburg: Erste Evakuierung, erster Deichbruch

In Brandenburg verschärft sich die Lage in den Hochwassergebieten: Besonders kritisch ist sie in Mühlberg. Doch dort reagieren die Bewohner erstaunlich gelassen. In Spremberg ist das Hochwasser bisher weniger dramatisch, als es zunächst schien.

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Aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt schieben sich die Fluten nach Norden. In Brandenburg hat sich die Hochwassersituation am Mittwoch dramatisch verschärft. Und zwar an der Spree, insbesondere aber an der Schwarzen Elster und der Elbe in Mühlberg. Lediglich an der Neiße gibt es eine leichte Entspannung. An der Schwarzen Elster gab es einen ersten Deichbruch nahe der Stadt Herzberg. Am kritischsten ist die Lage in Mühlberg.

Elbe in Mühlberg und der Prignitz

Irene Köhler steht vor ihrem Haus in Mühlberg, schon seit zwei Stunden. Sie hat zwei Koffer gepackt, den großen für sich und den kleinen für ihren Hund. Sie wartet auf den Bus, der die Einwohner von Mühlberg, die die Stadt verlassen wollen, aufsammeln soll.

Der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck (SPD),  steht zur selben Zeit wieder einmal auf dem Deich von Mühlberg. Vor ihm die Kameras, hinter ihm die Elbe, die eigentlich ein Fluss sein sollte, jetzt aber eher einem großen See gleicht. Der Deichabschnitt links von Platzeck wurde nach dem letzten Hochwasser mit vielen Millionen Euro saniert. Er wird halten. Der Abschnitt rechts von ihm ist fast hundert Jahre alt und wurde in den vergangenen Tagen mit Kies und Sandsäcken erhöht. Aber Platzeck ist optimistisch, dass auch der alte Deich hält: „Vor zwei Tagen haben wir uns noch größere Sorgen gemacht“, sagt er.

Selbstverständlich habe man hilflose und hilfebedürftige Menschen schon aus der Stadt gebracht, alle anderen seien aufgefordert worden, Mühlberg freiwillig zu verlassen – „Sind ja alles mündige Bürger“, sagt der Ministerpräsident. Mühlbergs Bürgermeisterin Hannelore Brendel fügt hinzu, dass es mit der Freiwilligkeit ein Ende habe, wenn die Lage kritisch wird.

So sieht es an den Flüssen in Ostdeutschland aus.
So sieht es an den Flüssen in Ostdeutschland aus.

© Bartels/Tsp

Kurz nach 20 Uhr kommt endlich ein Bus, in den Irene Köhler einsteigen kann. Der Bus hat 49 Plätze, doch sie ist der einzige Fahrgast mit ihrem Hund. Fünf solcher Busse sind in Mühlberg unterwegs für gut ein Dutzend Mühlberger. Die anderen verlassen die Stadt lieber in ihren eigenen Autos. Die Busfahrer und die DRK-Helferinnen fühlen sich ein wenig veralbert, weil so wenige kommen. Die Koordination lässt zu wünschen übrig.

Auch einige freiwillige Helfer am Deich beklagen, dass niemand die Arbeiten so richtig koordiniert. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass man in Mühlberg schon zum dritten Mal seit 2002 mit dem Hochwasser konfrontiert ist? Routiniert, fast schon gelassen haben die Einwohner Sandsäcke vor Türen und Fenster gestapelt und alles gut verschlossen und verpackt. Die meisten sind sicher, dass Mühlberg diesmal verschont bleibt.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit fährt der Bus mit Irene Köhler endlich los. Wahrscheinlich geht es in eine Turnhalle in Tröbitz, etwa 30 Kilometer entfernt. Eigentlich wäre die nächstgrößere Stadt Bad Liebenwerda. Doch dort hat nicht die Elbe, sondern die Schwarze Elster auch schon einige Deiche überflutet. An Elbe und Elster ist momentan Land unter.

In der Prignitz wird für das Wochenende ein höherer Pegel als 2002 erwartet

Mühlberg war bereits 2002 und 2006 vom Hochwasser heimgesucht worden, 2010 hatte ein Tornado große Teile der Innenstadt zerstört. Es wird befürchtet, dass das Wasser höher steigt als bei der Rekordflut vom August 2002, als ein Pegel von 9,98 Metern erreicht wurde. Dieses Mal werden 10,10 Meter erwartet. Zwar stand das Wasser am Mittwoch noch knapp einen Meter unter der Marke von 2002, wo es beim „Wunder von Mühlberg“ zwei Zentimeter unter der damals durch Sandsäcke verstärkten Deichkrone zum Stehen gekommen war. Doch die Pegel steigen weit schneller als erwartet, so dass jetzt Katastrophenalarm gilt. Das späte Ausrufen sorgte vor Ort für Unmut. Schulen blieben geschlossen. Mühlberg ist für Besucher gesperrt. Zusätzliche Probleme gibt es durch zwei Deichbaustellen, die mit Sandsäcken gesichert werden. Die Landespolizei beorderte 200 Polizisten hierher, auch 200 Feuerwehrleute aus Hessen helfen. An der Elbe ganz im Norden in Brandenburg, in der Prignitz, ist es noch ruhig, der Landkreis rief aber vorsorglich Katastrophenalarm aus: Denn am Wochenende werden höhere Pegel als 2002 erwartet, da dort alles Wasser aus Elbe und den vorher einmündenden Flüssen Saale und Weiße Elster vorbei muss. In Wittenberge wird eine Spundwand errichtet. In die Prignitz gingen 500 000 der vom Katastrophenschutz-Zentrallager in Beeskow angeforderten 800 000 Sandsäcke.

Alle zusammen. In Herzberg werden Sandsäcke gestapelt.
Alle zusammen. In Herzberg werden Sandsäcke gestapelt.

© dpa

Schwarze Elster/Herzberg

Südlich der Stadt Herzberg (Elbe-Elster) im Stadtteil Ansnesta brach ein Deich, auf einer Länge von 20 Metern. Überflutet wurden zunächst nur Wiesen. Die Bundeswehr versuchte mit Hubschraubern aus dem nahen Holzdorf zu helfen. Allerdings war der Damm schwer zugänglich. „Da müssen jetzt erst noch Bäume gefällt werden“, sagte Jörg Richter, der wie alle anderen Bewohner des Ortsteils Sandsäcke füllte. In der Stadt selbst hielten zwar Deiche, doch Keller und Gärten stehen wie in der Mühlstraße trotzdem schon unter Wasser: Das Grundwasser drückt nach oben. Und es gibt erste Schuldzuweisungen. Elbe-Elster-Landrat Christian Jaschinski und Herzbergs Bürgermeister Michael Oecknigk (beide CDU) warfen der Landesregierung Versäumnisse vor, weil es in den Vorjahren hier nur „leichte Reparaturen“ an den Deichen gegeben habe. Nötig wären 140 Millionen Euro, um die Schwarze Elster besser einzudämmen, sagte Oecknigk. „Wenn ich das umrechne, ist das ein Prozent der Mehrkosten, die gegenwärtig am Flugplatz BER zu verzeichnen sind.“ Auch im nahen Bad Liebenwerda schwappte Wasser über die Deichkrone, aber noch ohne Schäden in der Stadt anzurichten. Der Abschnitt wird mit Sandsäcken repariert.

Die Talsperre in Spremberg.
Die Talsperre in Spremberg.

© dpa

Spree mit Talsperre Spremberg

Alarmstufe IV gilt weiter in Spremberg, wo die Spree mit immer höheren Pegeln aus Sachsen ankommt. In der Talsperre Spremberg kommen derzeit 133 Kubikmeter je Sekunde an, der Stausee ist fast voll, erwartet werden 140 Kubikmeter je Sekunde. Seit dem Wochenende werden die Schleusen immer mehr geöffnet, so dass seit Mittwoch 100 Kubikmeter pro Sekunde – üblich sind 17 – abgelassen werden. Noch immer steigt der Pegel im Becken. Erwartet wird, dass demnächst 140 Kubikmeter in Richtung Cottbus abgelassen werden müssen. Das Wasser ist zudem mit Eisenhydroxid verunreinigt und verantwortlich für die „rostbraune“ Spree, was im Spreewald die Ängste vor einer Öko- und Tourismuskatastrophe verstärkt. Cottbus, dreißig Kilometer weiter nördlich gelegen, rüstet sich: Die Stadt hat jetzt 230 Bundeswehrsoldaten angefordert, ein nahe der Spree liegendes Tierheim wurde evakuiert. Zigtausende Sandsäcke sollen unter anderem die Kleingartenanlagen an der Spree, aber auch das Stadion der Freundschaft des Zweitligisten Energie Cottbus schützen.

Für Donnerstagmorgen wird ein erster Hochwasserscheitel erwartet. Die Nervosität steigt allerorten. Für zusätzliche Unruhe bei Spree-Anrainern hatte Brandenburgs Umweltministerin Anita Tack (Linke) mit einer Falschinformation gesorgt, für die sie sich am Mittwoch entschuldigte. Im RBB hatte Tack am Vorabend mitgeteilt, dass die südlich gelegene Talsperre im sächsischen Bautzen „defekt“ sei und daher „dort alles Wasser abläuft.“ Seitdem liefen etwa im Spremberger Rathaus die Telefone heiß, da ein Auslaufen der Bautzener Talsperre Land unter für Spremberg und weitere Orte nördlich bedeuten würde. Richtig ist, dass in Bautzen die volle Talsperre „kontrolliert überläuft“, wie es aus den Sächsischen Behörden heißt. Das Ministerium bedauerte das „Missverständnis“.

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