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Ostbezirke

© Kitty Kleist-Heinrich

Hohenschönhausen: Reizvolle Randlage

„Hohenschönweitdraußen“? Nicht nur Naturfreunde hält es hier. Eine Museumsleiterin genießt die klassische Moderne, die Feuerwehr tut was für junge Leute.

Es herrschte eine Mischung aus Abenteuerlust und Entdeckerfreude, 1985, als der Möbelwagen vor dem Elfgeschosser in Hohenschönhausen stand und Familie Noack in ihre Neubauwohnung zog. Wita, Ingenieurin, mit 25 Jahren schon dreifache Mutter, war einfach nur glücklich. Hier gab es Annehmlichkeiten, von denen sie in Hoyerswerda nur hatte träumen können. Kein Kohlenschleppen mehr, kein mühseliges Anfachen des Badeofens, stattdessen Fernheizung, Warmwasser, Balkon. Der Neubau stand quasi auf einem grünen Teppich, weit dehnten sich die Felder. „Man war hier am Stadtrand ganz eng mit der Natur verbunden“, sagt Wita Noack. Unweit lagen Kinderkrippe und Schule. „In der DDR wurden ja oft die Kindergärten zuerst fertig und dann die Häuser drumherum gebaut.“ Hohenschönhausen hatte davon so viele, dass das Gebiet, zuvor ein Teil von Weißensee, ein eigener Bezirk wurde. Erst seit Januar 2001 gehört es zu Lichtenberg.

Nach dem Fall der Mauer eröffneten sich für die lebensfrohe Wita aus der Lausitz – ihr Name bedeutet auch im Sorbischen „Leben“ – neue Möglichkeiten. Nun wurden ihr die Nachteile der Hohenschönhauser Randlage bewusst: wenig Möglichkeiten zum Ausgehen, kaum Restaurants. Die Kultur spielte sich in der City ab. Wita Noack schloss mit sich einen Kompromiss: leben in der Stadt, arbeiten in Hohenschönhausen. In der wohl schönsten Ecke des Bezirks: im Mies-van-der-Rohe-Haus an der Oberseestraße 60.

Das flache Landhaus hatte der berühmte Architekt 1938 für Martha und Karl Lemke, Besitzer einer Grafischen Kunstanstalt und Druckerei, entworfen – als letzten Wohnhausbau vor seiner Emigration, ein Kleinod der klassischen Moderne. Schon zu DDR-Zeiten kamen hierher die Freunde Mies van der Rohes, denn die Villa Lemke stand in (westlichen) Baedekern und Architekturführern. Nur: Man durfte das Gebäude nicht betreten. Wer ihm zu nahe kam, den beobachtete eine schwenkbare Kamera. Das Haus gehörte jenem Ministerium, das sich von der Normannenstraße in Lichtenberg bis nach Hohenschönhausen ausgebreitet hatte: der Staatssicherheit. Gleich daneben stand eine Villa, die Minister Erich Mielke als Gästehaus diente und der die Leute den Namen „Die kalte Pracht“ gegeben hatten. Die Villa Lemke war ebenso ein Teil des Stasiimperiums wie die anderen Villen am Obersee.

Hinter den Backsteinen des Rohe-Hauses ereignete sich jüngste Geschichte: Im Oktober 1945 beschlagnahmte die Rote Armee das Gebäude, nutzte es als Garage. Später hatte die Stasi hier ein Wäschedepot, eine Hausmeisterwohnung und eine Küche. Immerhin stellte der Magistrat das Gebäude 1977 unter Denkmalschutz, nach der Wende gelangte es in die Trägerschaft des Bezirks. Haus und Garten wurden von 2000 bis 2002 nach alten Plänen grundsaniert. Seither wird hier moderne Kunst gezeigt. „Ein Kunstraum, an dem man Bildung, Erholung und Kontemplation erleben kann“, sagt Leiterin Wita Noack, 48, die für ihr bürgerschaftliches Engagement das Bundesverdienstkreuz erhalten hat. „Unser Haus ist das Einzige am Obersee, was vom Bürgerengagement 1989/90 übrig geblieben ist, nicht privatisiert wurde. Die Lemkes hatten keine Erben.“

7000 Besucher kommen jährlich, Menschen aus 33 Ländern waren schon da. Ein Ort im Wandel: „Hohenschönhausen scheint für viele nicht attraktiv zu sein“, sagt die Chefin. Doch es gibt zwei Gründe, weshalb sich internationale Touristen auf den Weg machen: die Gedenkstätten, also das Stasigefängnis und das Mies-van-der-Rohe-Haus. Die erste ist negativ besetzt, das zweite inzwischen positiv – weil dort „Architektur, Natur und Kunst im Einklang sind“.

Wita Noack fährt mit dem Fahrrad von ihrer Wohnung im Hansaviertel 50 Minuten zum Dienst in „ihr“ Haus. Es geht immer bergauf. „Und wenn ich am Ziel bin, weiß ich, dass das mit Fug und Recht so heißt: Hohenschönhausen.“ 

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