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Berlin: Holocaust-Gedenktag: Eine Zeitreise in der S-Bahn

Von draußen schien die Sonne durch die Verglasung des Bahnhofs Zoo, auf dem Bahnsteig war alles ganz normal. Nur in dem Informationskasten der S-Bahn hing ein kleines Plakat, auf dem mit schwarzer Schrift auf gelbem Grund zu lesen war: "Für Juden verboten".

Von draußen schien die Sonne durch die Verglasung des Bahnhofs Zoo, auf dem Bahnsteig war alles ganz normal. Nur in dem Informationskasten der S-Bahn hing ein kleines Plakat, auf dem mit schwarzer Schrift auf gelbem Grund zu lesen war: "Für Juden verboten". Aber wer schaut da schon hin?

Zum zweiten Mal hatte die Jugendgeschichtswerkstatt Miphgasch und das Theater der Erfahrungen ihre Ausstellung, die auf dem unscheinbaren Plakat angekündigt wurde, zum Holocaust-Gedenktag auf die Schiene gebracht. Den ganzen Tag kreuzte gestern ein S-Bahnwaggon der Linie 5 die Stadt, in dem auf Plakaten und Tafeln die alltägliche und langsam wachsende Ausgrenzung von Juden während des Nationalsozialismus dargestellt wurde.

Als die Bahn gegen 11 Uhr am Zoo einfährt, entsteigt ihr eine Schulklasse, die sich im Zug zum Gespräch mit einer Zeitzeugin getroffen hatte. Eine andere Klasse steigt dafür ein und wird per Lautsprecher zur "rollenden Ausstellung" begrüßt. Ein Mann schaut überrascht hoch. Er sitzt unter einem Schild, auf dem vom 25. April 1933 an Juden die Mitgliedschaft in Sportvereinen untersagt wird. Dann beginnt auch noch Zarah Leander knarzend zu singen. Plötzlich sinkt eine Frau auf ihrer Bank scheinbar ohnmächtig zur Seite, eine andere - mit angeheftetem gelbem Tuch - will ihr helfen, wird aber zurückgewiesen. Als Jüdin dürfe sie doch gar nicht praktizieren! Solche Alltagsszenen aus dem Faschismus sind Teil des Ausstellungskonzepts, die Schüler beobachten die Szene teils gespannt, teils amüsiert. Eine alte Frau schaut währenddessen gequält aus dem Fenster. Sie möchte sich zu dem Spektakel nicht äußern: "Kein Kommentar".

Später steigt johlend eine Klasse ein. Die Mehrheit der Schüler aus Neukölln sind leicht als Ausländer zu identifizieren. Eigentlich sei Wandertag, sagt die Lehrerin, aber sie habe die achte Klasse ein bisschen provozieren wollen. Es gäbe da auch einen deutschen Schüler, der mit dem Rechtsextremismus liebäugele und sich mit zwei Palästinensern zusammengeschlossen hätte. Als die Schauspieler eine Szene darstellen, in der es um Judenwitze geht, ruft er: "Omar, wollen wir auch ein paar Judenwitze erzählen?" Und er legt tatsächlich unverblümt los.

Seine Mitschüler reagieren verlegen-empört, doch der 71 Jahre alte Walter Nagel vom Theater der Erfahrungen lässt sich nicht provozieren und schafft es sogar, den 15-Jährigen in eine Diskussion zu verwickeln. Na ja, Judenwitze, das sei doch wie Blondinenwitze, meint der Junge schließlich. Er scheint sich nicht mehr sicher, ob er stolz auf die Aufmerksamkeit sein kann oder sich über seine große Klappe ärgern sollte.

Alexander Pajevi¿c

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