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Berlin: Holocaust-Überlebende: Erholungsreise ins Land der Täter

In der Tram zwischen Seestraße, Wedding und Albertinenstraße, Weißensee. Wladimir Zdanowski sagt: "Es ist sehr gut, dass wir hier sind.

In der Tram zwischen Seestraße, Wedding und Albertinenstraße, Weißensee. Wladimir Zdanowski sagt: "Es ist sehr gut, dass wir hier sind. Dass wir dieses Mitgefühl erfahren und wie ihr hier die Erinnerung in Ehren haltet." Wladimir Zdanowski ist Jude aus der Ukraine, einer der "Ehemaligen minderjährigen Häftlinge in Konzentrationslagern und Gettos", die Berlin im Mai für zwei Wochen als Gäste des Maximilian-Kolbe-Werks besuchen. An diesem Morgen fahren Zdanowski und sechs weitere Mitglieder der Kiewer Organisation mit der Tram zum Jüdischen Friedhof in Weißensee.

Iosif Rauchwerger fällt Zdanowski ins Wort: "Sie haben geschrieben, dass sie sich glücklich schätzen würden, wenn wir ihnen das Vertrauen erweisen würden und einverstanden wären, einmal nach Deutschland zu kommen." So eine schöne Einladung und so ein Empfang in Berlin - wie bei Verwandten, schwärmt Rauchwerger. Neben den Männern sitzt eine ältere Frau, eine Deutsche wohl. Sie verzieht das Gesicht, steht auf und sucht sich einen Platz am anderen Ende des Tramwagens. Sie hat nur Russisch gehört und offensichtlich nichts verstanden. "Solche Leute gibt es also auch noch in Deutschland", konstatiert Inna Majdanik, Überlebende des Gettos Mogiljew-Podolski. Damit die Ukrainer solchen Deutschen nicht alleine begegnen, wollen die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen vom Kolbe-Werk sie möglichst immer durch die Stadt begleiten.

Michail Gut ist nicht mitgekommen nach Weißensee. Aber er wird einen schönen Tag haben im Garten des Klosters Karmel Regina Martyrum in Charlottenburg, wo die Gruppe untergebracht ist. Der 64-jährige Agronom, der Leiter der Verwaltung der ukrainischen Gärten und Weinberge war, hat zum Abschied über die Hecke gewunken. Am frühen Morgen entdeckte der oberste Gärtner der Ukraine, dass der Klostergarten ein bisschen verwildert ist. "Man muss doch diesen lieben Leuten helfen", sagt er.

Gestern hat Gut geweint. Im Haus der Wannseekonferenz haben sie Bilder gesehen aus den Gettos und Konzentrationslagern. Über die Kinder auf den Bildern sagten sie: "Das bist du, Michail, und das bist du, Wasily." Sie hätten es sein können: Der kleine Junge an der Hand seiner Mutter, die ins Lager getrieben werden, das magere Mädchen im Getto, das in zerrissenen Kleidern um ein Stück Brot bettelt. Sie stellen sich in Berlin so vor: "Michail Gut, Konzlager Petschora." Oder: "Iosif Rauchwerger, Getto Trostjantschik." Auch 56 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus können die Überlebenden ihrer Geschichte nicht entgehen. Es braucht nicht die Wannseevilla, wo die "Endlösung" beschlossen wurde. Es braucht nicht den Jüdischen Friedhof, wo so viele Familiengräber halb leer blieben, weil die Ermordeten kein Grab haben. Die Schatten sind immer da. Der eben noch sonnige Himmel bezieht sich. Es wird kühler im Klostergarten. "Iosif", sagen die Freunde aus dem Verein der Getto-Überlebenden, "braucht keine Jacke mehr, seitdem er halb erfroren war." Als Iosif Rauchwerger fast erfror, war er ein Jahr alt.

Erholungsreisen sollen die Deutschland-Besuche sein, die das Maximilian-Kolbe-Werk seit über 25 Jahren für ehemalige KZ-Häftlinge organisiert. Auch für die Gäste aus Kiew sind Abende im Varieté und in der Philharmonie, Dampferfahrten auf der Spree und Stadtführungen geplant. Es sei gut, dass man ihnen die Begegnung mit ihrer eigenen traumatischen Vergangenheit im Land der Täter nicht erspare, sagt Iosif Rauchwerger. "Wir müssen uns erinnern. Das sind wir denen schuldig, die nicht überlebt haben."

Sie haben von den Deutschen mehr zu erwarten, als diese Reise und die humanitäre Hilfe, die das katholische Hilfswerk ihnen zukommen lässt. Beim Besuch in der ukrainischen Vertretung bitten sie Botschafter Anatoly Ponomarenko, Druck auf die deutsche Regierung auszuüben, damit die Entschädigungszahlungen endlich beginnen. "Wir sterben wie die Fliegen", sagt einer. Im Januar hatte ihr Verein noch 185 Mitglieder, Anfang Mai waren es nur noch 174.

Auf dem Friedhof Weißensee erinnert sich Wasily Michajlowski an das Grab seiner Mutter. Sie hat ein Grab, weil sie starb, als er geboren wurde. Der Vater hat kein Grab, weil er 1941 von den Nazis erschlagenen wurde. Da war Ceser Katz, wie er damals noch hieß, vier Jahre alt und blieb mit seinem Kindermädchen alleine.

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