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Berlin: Horst Bosetzkys historischer Roman "Tamsel"

Hier also soll es gewesen sein. Ein kleine Anhöhe über der Oder, Büsche, kleine Bäume, Erdhaufen, altes Mauerwerk, längst überwuchert und notdürftig freigelegt, nur hinten die Bastion König, mit sowjetischem Ehrenmal und verrosteter Kanone, halbwegs erhalten - das sind die Reste der Festung Küstrin.

Hier also soll es gewesen sein. Ein kleine Anhöhe über der Oder, Büsche, kleine Bäume, Erdhaufen, altes Mauerwerk, längst überwuchert und notdürftig freigelegt, nur hinten die Bastion König, mit sowjetischem Ehrenmal und verrosteter Kanone, halbwegs erhalten - das sind die Reste der Festung Küstrin. Durchaus idyllisch, auch die Sonne heute stimmt heiter, obwohl man doch weiß, was hier am 6. November 1730 geschah: "Da sauste das Schwert des Scharfrichters nieder und trennte mit einem gut geratenen Streich Katte das Haupt vom Rumpf." Das wäre der rechte Ort für eine Dichterlesung, sein neues Buch hat Horst Bosetzky auch schon zur Hand, müsste nur zu der Stelle blättern, als der Freund des Kronprinzen Friedrich seinen Kopf verliert. Aber nein, Dichterlesung steht jetzt noch nicht auf dem Programm. Dicht drängen sich die Termine, die der Berliner Jaron-Verlag zur Präsentation des neuen Bandes seines Erfolgsautors zusammengestellt hat: erst Küstrin, dann das Schlachtfeld von Zorndorf, auf dem der Alte Fritz 1758, während des Siebenjährigen Krieges, den Russen halbwegs widerstand, schließlich Schloss Tamsel, mehr ein Herrensitz, der zentrale titelstiftende Ort des Historienromans, auch dies ein Idyll, wenngleich ziemlich ramponiert, erst am Abend wird Bosetzky dort lesen.

Noch aber kniet er über der Oder, anfangs posierend für die Fotografen, mittlerweile ins Plaudern gekommen, über Katte und den noch jungen Fritz, über Johann und Erdmann von Bosetzky, seine Vorfahren, deren Leben das Schloss, die Schlachtfelder, die Festung mal so, mal so umkreiste. Und über die Oder, die darf man keinesfalls vergessen, denn "die Oder, das ist mein Fluss". Nicht die Spree, nicht die Havel, nein, die Oder. Auf der ist sein Vater Otto immer gepaddelt, sie strömte durch die Geschichten, die er dem kleinen Horst erzählte, in denen Fährleute noch geheimnisvoll "Hol über" riefen und die sich mit den Ölgemälden und Fotos vom Oderbruch verbanden, die bei Bosetzkys an den Wänden hingen. Geschichten aus der Vergangenheit seiner Familie, von Johann, der unter dem Alten Fritz als Husar diente, ihn bei Zorndorf gerettet und dadurch den Adelstitel errungen haben soll; und von Erdmann, Kammerdiener auf Tamsel, mehr den Musen ergeben und dann im Gefolge der Französischen Revolution ohne weiteres bereit, sich von einem der Besatzungssoldaten den Adelstitel abkaufen zu lassen. Möglich, dass der noch immer ein Franzosengeschlecht ziert, Nachforschungen, die Bosetzky nach dem abhanden gekommenen "von" anstellte, blieben bislang unbelohnt.

Längst ist der Zeitplan dieses Tages ins Rutschen geraten, dort hinten beim Bus wird der Rest der Reisegruppe wohl schon unruhig mit den Füßen scharren, aber wenn Bosetzky erst mal redet, dann redet er. Übrigens sei sein Vater Techniker bei der Post gewesen, "phantasievoll in Maßen", und er könne auch nicht sagen, was er bei den alten Familiengeschichten denn nun zugedichtet habe. Auch Recherchen halfen nicht viel weiter, Familiendokumente, die noch in Tamsels Archiven lagern könnten, alte Kirchengemeindebücher auch, sind im letzten Krieg verbrannt, und so blieb der dichtende Ahnenforscher eben auf seine Phantasie verwiesen, erfand hier dazu, ergänzte dort, schmückte aus, immerhin "im Rahmen dessen, was plausibel ist".

Erst ein Jahr liegt es zurück, dass Bosetzky zum ersten Mal im heute polnischen Küstrin und Tamsel war, aber er hat doch das "Gefühl, als habe ich schon immer hier gelebt". Zu dicht hatten sich die Bilder abgelagert, zu tief sich die Geschichten "eingraviert", und man mag es Zufall oder Schicksal nennen, den Genen gar zuschreiben - jedenfalls war vor einigen Jahren nicht abzusehen, dass Bosetzkys Schriftstellerleben diese Wendung nehmen sollte. Angeregt durch seinen heutigen Verleger Norbert Jaron hatte er den autobiographischen Nachkriegsroman "Brennholz für Kartoffelschalen" geschrieben, dem "Capri und Kartoffelpuffer" folgten. Beide waren erfolgreich, Ermutigung, die Serie fortzusetzen, diesmal aber den Anfängen der Familie nachzuspüren, sie darzubieten als Dichtung und Wahrheit zugleich.

Und so winden sich die Lebensläufe derer von Bosetzky um das Gerüst, das die Geschichte Preußens vorgab. Mit dem Aufstieg des Landes zur europäischen Großmacht stieg zugleich die Familie auf, und auch der Niedergang unter Napoleon spiegelte sich wider. Johann und Erdmann, der kraftvolle, etwas derbe Husar und der sensible Schöngeist - für Bosetzky, wie er später im Schloss erzählen wird, sind das auch die zwei Seelen in seiner Brust, und die unterschiedlichen Lebensläufe sind zugleich Geschichten, Möglichkeiten, die "in mir drin sind". Denn wenngleich er nie Husar werden wollte - Fußballer oder Boxer schon. Aber Wissenschaftler ist er ja auch noch, Soziologieprofessor, den es diesmal aufs Terrain der Historiker verschlagen hat. Stimmen sollten die Geschichten vom jungen und alten Fritz dann schon, und so wurde eigens Wolfgang Ribbe, ausgewiesener Kenner der brandenburgischen Geschichte, herangezogen, der historische Ungereimtheiten wieder weghobeln musste. Am Poetischen konnte er natürlich nicht mehr polieren, dem der enge Kontakt zum Historischen leider nicht bekam. Bemüht um geschichtliche Korrektheit und sozialgeschichtliche Detailtreue, hat sich Bosetzky zu sehr auf seine Nachschlagewerke verlassen, erläutert etwa beim Beschreiben eines Schlachtfeldes, man habe die Löffelchen, die russische Grenadiere zum Laden ihrer Gewehre benutzten, so und so genannt, ein winziger Halbsatz nur, der jedoch der Handlung einen Beigeschmack des Schulmeisterlichen gibt.

Bosetzky ist sich dessen durchaus bewusst, schwärmt von den "prallen Geschichten", die die brandenburgische Geschichte biete, und räumt zugleich ein, dass es stets eine "Gratwanderung" war, wieviel historischen Hintergrund er denn nun liefern solle. Das Abgleiten ins Funkkolleg, in die Geschichtsstunde drohe dabei stets, doch sehe er sich einem Begriff von Bürgertum, von Aufklärung verpflichtet, wolle erreichen, dass der Leser diese Details auch wisse. Sein Problem als Autor also: zu viel zu wissen, dies aufs rechte Maß reduzieren zu müssen. Beim "Letzten Askanier", einen im 14. Jahrhundert spielenden Roman, sei es wohl zu viel Historie gewesen, diesmal ist er mit sich zufriedener, und dennoch: "Ich würde gern einmal einen Kurs bei einem richtigen Poeten belegen."Horst Bosetzky: Tamsel. Der Aufstieg derer von Bosetzky unter Friedrich II. Jaron Verlag, Berlin 1999. 368 S., 39,80 DM

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