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Wind im Nacken. Horst Köhlers überraschender Rückzug aus dem Amt des Bundespräsidenten hat am Montag viele Berliner und Besucher irritiert. Der 67-Jährige, hier auf einem Archivbild, galt als bürgernah. Er nahm sich gern Zeit für Gespräche mit Menschen aus allen Bereichen und förderte gezielt bürgerschaftliches Engagement.

© ddp

Horst Köhler: Und plötzlich war er weg - vor fünf Jahren

Nach dem Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler vor fünf Jahren tauschten sich vor dem Schloss Bellevue überraschte Passanten und Touristen aus. Die Bewertung der Entscheidung reichte von "mimosenhaft" bis "erschütternd". Was Elisabeth Binder darüber schrieb.

Im Amtszimmer brennt noch Licht, und die Flaggen Deutschlands und Europas wehen eine Stunde danach auch noch auf dem Rasen vor dem Schloss Bellevue. Aber der Polizist an der Eingangsschranke zum Bundespräsidialamt sagt, dass sich Horst Köhler schon nicht mehr „im Objekt“ befinde. Plötzlich seien die ganzen Journalisten da gewesen, 50 oder 60, bei dieser unerwartet einberufenen Pressekonferenz, und nach fünf Minuten schon wieder raus. „Für uns ist das auch ein Schock.“ Keiner habe was geahnt. „Mal schauen, wie es jetzt weitergeht.“

Gegenüber vom Schloss, am Rande der Grillwiese im Tiergarten, sammeln sich die Übertragungswagen der Fernsehstationen. N24 ist da, CNBC, und Uli Zelle von der Abendschau ist auch in Windeseile von einem anderen Termin gekommen. Normalerweise gibt es so einen Medienauflauf vor diesem Amtssitz bei glanzvollen Ereignissen, bei großen Staatsbesuchen und Ehrungen für engagierte Bürger.

An diesem letzten Maitag ist es grau und kalt, der Regen weht gegen die Kastanienblüten. Schnell macht der Ausdruck „historischer Moment“ die Runde. Nur wenige Passanten sind wegen des Rücktritts hier. Ulrich Glamp ist aus München eigentlich zum Jamie-Cullum-Konzert nach Berlin gekommen. Er sei zufällig in der Nähe gewesen, habe per SMS davon erfahren und sei völlig überrascht gewesen. Der 48-Jährige findet’s gut, weil doch sonst die Politiker immer an ihren Ämtern kleben „bis zur letzten Peinlichkeit, bis sie rausgetragen werden“.

"Wirklich mimosenhaft"

Da ist der gleichaltrige Martin Kaysh, ein politischer Kabarettist, aber ganz anderer Ansicht. „Ich finde das wirklich mimosenhaft.“ Einerseits habe er ein politischer Präsident sein wollen, und jetzt könne er es nicht ertragen, wenn er politisch behandelt werde. „Er vermisst den Respekt vor dem höchsten Amt? Das ist doch Kaiser Wilhelm. Da gab’s noch Majestätsbeleidigung.“ Mimosenhaft finden auch andere Passanten den Rücktritt des Präsidenten, der in der Bevölkerung beliebt war. Kritik müsse man aushalten können, heißt es. Manche sagen, dass es für Angela Merkel jetzt noch schwerer werde.

„Was’n Weichei“, sagt Günter Tierp spontan. Mit seiner Frau macht der Münsterländer gerade eine Radtour. Den Rücktritt findet er absolut unwürdig: „Da steckt sicher mehr dahinter.“ Ein Ehepaar mittleren Alters ist aus Templin zu Besuch und wollte sich das Schloss zufällig an diesem Tag endlich mal angucken. „Heutzutage muss man vorsichtig sein, was man sagt“, meint der Mann. Und die Frau ergänzt: „Das kostet doch wieder nur Geld. Der Nachfolger muss ja auch bezahlt werden.“

Eine 70-jährige Radfahrerin sagt, sie sei erschüttert. In letzter Zeit habe er zwar einiges gesagt, was bei den Leuten nicht gut angekommen sei. „Aber eigentlich hat er seine Arbeit doch gut gemacht.“

Die Überraschung ist so groß, da kommen Passanten, Polizisten und Journalisten spontan auch miteinander ins Gespräch. Ist das eigentlich richtig, dass die Fahne noch hochgezogen ist? Normalerweise weht sie nicht, wenn der Bundespräsident im Ausland ist oder wenn er sich in Bonn in der Villa Hammerschmidt aufhält. Und jetzt ist er gar nicht mehr da. Müsste da nicht auch die Flagge eingezogen werden? Dieser Rücktritt hinterlässt auch in kleinen Details ein Vakuum.

Ein Touristenpärchen aus Polen fotografiert sich gegenseitig vor dem Schloss. Aber nicht wegen des Präsidenten, sondern weil es eine Sehenswürdigkeit ist. Von einem Rücktritt haben sie nichts gehört. „Wieso denn?“, fragen sie. „War es das Alter?“

Der Beitrag erscheint in unserer Rubrik "Vor fünf Jahren".

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