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© Fabrizio Bensch

Humanitäre Notlage in Berlin vor einem Jahr: Als das Lageso zu einem Symbol der Flüchtlingskrise wurde

Vor einem Jahr herrschte am Landesamt für Gesundheit und Soziales in Moabit Chaos. Dies prägt Berlin bis heute.

Im Sommer vor einem Jahr schaut die Welt nach Berlin – nicht nur Erasmus-Hipster, Touristen, Lobbyisten. Zehntausende Flüchtlinge kommen damals in der Stadt an. Und in Hamburg und München, selbst in London und Paris sprechen Beamte, Helfer und Kritiker darüber, dass die deutsche Hauptstadt mit den Asylbewerbern überfordert zu sein scheint. Eine Behörde wird zum Synonym dafür: das Landesamt für Gesundheit und Soziales. Die Abkürzung „Lageso“ geht um die Welt, und die Bilder von in der Hitze wartenden Männern, Frauen, Kindern füllen Zeitungen und Fernsehnachrichten.

Damals ist die Stimmung gereizt: Die Opposition im Abgeordnetenhaus fordert Rücktritte. Ehrenamtliche fühlen sich hängengelassen. Bis zu 1000 Flüchtlinge kommen damals pro Tag am Lageso in Moabit an, das für die Versorgung von Asylbewerbern zuständig ist. Unterkünfte sind knapp. Das hat auch – aber ganz klar nicht nur – damit zu tun, dass die Zahl der Asylanträge noch 2011, als der SPD-CDU-Senat antrat, so niedrig war wie in den Jahren zuvor. Und deshalb fiel offenbar nur wenigen auf, dass der Vorgängersenat massenhaft Stellen in Ämtern gestrichen und landeseigene Bauten verkauft hatte. Als Rot-Schwarz jedoch – schwerfällig – seine Arbeit aufnimmt, wüten in der arabischen Welt schon die Kriege, vor denen Millionen flüchten werden.

Das personell ausgedünnte Lageso kollabiert in jenen Tagen de facto. Die Schlangen werden länger, Essen wird knapp, Flüchtlinge prügeln sich, vor Ort müssen Polizisten eingreifen.

Die rot-schwarze Koalition drohte zu zerbrechen

Einige Wochen danach berichtet schließlich sogar die „New York Times“ darüber. Die Krise kostet Sozialsenator Mario Czaja (CDU), politisch zuständig für das Lageso, fast seinen Posten – und mehrfach droht die rot-schwarze Koalition zu zerbrechen.

Es ist auch die erste Krise, die der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) ein paar Monate später zu einem Machtwort veranlasst: Niemand könne sich nun noch vor der Verantwortung drücken – was als Ansage an den Koalitionspartner verstanden wird. Viele spekulieren auf Neuwahlen. Dabei ist nicht nur Senator Czaja für Flüchtlinge zuständig, doch wird er mit dem ungeliebten Thema auch in seiner Partei alleingelassen.

Was in jenen Tagen wohl weder Czaja noch Müller ahnen: Im Lageso wird von mindestens einem, wahrscheinlich sogar von mehreren Mitarbeitern eine fragwürdige Nähe zu Wohnungsunternehmen, Sicherheitsfirmen und Sozialverbänden gepflegt. Außer der desolaten Personallage könnte Korruption die Arbeit erschwert haben. Vorerst bleibt das Spekulation, noch prüft die Justiz die Abläufe.

Nachdem das Chaos im August 2015 für alle sichtbar wurde, wird Czaja gedrängt, den Lageso-Präsidenten Franz Allert zu entlassen. Der Senator zögert, vielleicht zu lange. Kurz vor Jahresende tritt Allert auf Müllers Drängen schließlich doch zurück. 2016 dann wird ein Masterplan für Integration erstellt. Außerdem teilt der Senat das Lageso auf. Alle Flüchtlingsfragen klärt bald eine neue Behörde. Diese wird, da sind sich alle einig, noch lange viel zu tun haben.

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