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Blick auf die Humboldt-Box und den Fernsehturm

© Thilo Rückeis

Humboldtforum: Debatte um die Zukunft des Stadtkerns entbrannt

Berlin hat dem Bund das Grundstück für das Humboldtforum übertragen. Auch das Archäologische Zentrum soll kommen. Die Großprojekte befeuern die Debatte über den Stadtkern und über das historische Erbe Berlins.

Die letzte Hürde ist genommen, Berlin hat dem Bund den landeseigenen Grund und Boden am Schlossplatz übertragen. Nun können die Erdarbeiten zur Rekonstruktion des Schlüterbaus beginnen und 42 Meter tiefe Bohrpfähle in den sumpfigen Boden gerammt werden. Den Gewinner dieser ersten Ausschreibung für den 570 Millionen Euro teuren Neubau hat die zuständige Stiftung Berliner Schloss Humboldtforum bereits ausgewählt. In knapp einem Jahr wird der Grundstein für das Schloss gelegt – mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), munkelt man.

Zwei weitere Wegmarken zur Gestaltung des historischen Zentrums sollen in diesem Jahr gesetzt werden. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher will den Wettbewerb zur Gestaltung der Flächen rund um den Neubau ausloben: für den Schlossplatz, den Lustgarten und die Freiflächen vor dem Westportal am geplanten Freiheits- und Einheitsdenkmal. Außerdem soll weiter südlich auf der Spreeinsel, am Petriplatz, das Archäologische Zentrum entstehen. Das Geld für die Planung bewilligten die Abgeordneten in dieser Woche. Wenn nicht der Haushaltsausschuss noch die Notbremse zieht, beginnt im Dreieck zwischen Schloss, Fernsehturm und Petriplatz eine ganz neue Etappe der Stadtentwicklung: eine Neugestaltung aus dem Geiste der historischen Doppelstadt Cölln-Berlin.

In der Gründungszeit Berlins, im Jahr 1292, wird die Marienkirche erstmals erwähnt. Das gotische Bauwerk steht heute einsam inmitten einer städtebaulichen Wüste. Die verändert sich. Von den Rändern her wird das nach dem Krieg eingeebnete historische Zentrum westlich des Alexanderplatzes umgestaltet. Die Freifläche am Fuße des Fernsehturms bekommt neue Bodenplatten, gegenüber hatten Gärtner 45 Linden- und Kirschbäumen gefällt, um Platz für den Neubau eines Kaufhauses nach Plänen von Sauerbruch Hutton zu schaffen. Der Neubau nimmt allerdings wenig Rücksicht auf den historischen Stadtgrundriss. Hier wird nur eine „Lücke geschlossen“ im „Handelszentrum am Alex“, wie Senatsbaudirektorin Lüscher sagt. Der „Allea101“ genannte Würfel, der hier entsteht, sei das städtebauliche Pendant zum gegenüberliegenden Altbau an der Karl-Liebknecht-Straße und vollende das Bahnhofsquartier.

Visionen für Berlins Mitte

Davon unberührt bleibt die Brache rund um die Marienkirche. Das einst lebendige bürgerliche Wohn- und Geschäftsviertel mit 147 Parzellen nebst Straßen und Gassen, dessen Überreste nach dem Zweiten Weltkrieg vollständig aus dem Stadtbild getilgt wurden, war fast aus der Erinnerung gelöscht. Erst der frühere Senatsbaudirektor Hans Stimmann trieb die Idee der Wiederherstellung des Zentrums auf dem Grundriss der mittelalterlichen Stadt voran. Stimmann selbst legte dazu noch Pläne vor, die Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) 2010 im Tagesspiegel wieder ins Gespräch brachte. Architekt Sergei Tchoban belebte die Debatte in dieser Zeitung vor kurzem mit Zeichnungen aufs Neue. Doch wie realistisch sind diese Gedankenspiele?

Senatsbaudirektorin Lüscher hat andere Pläne, jedenfalls am westlichen Rand des Marx-Engels-Forums. Dort, gegenüber vom Humboldtforum, schlägt sie eine „zweite Freifläche“ vor, die den Lustgarten ergänzt, und der Erholung dient. „Das Humboldtforum braucht Freiraum“, sagt sie. Die Stadt sei hier verdichtet. Mit dem Bau des Schlosskolosses werde es noch enger. Wenn dafür der Rand des Marx-Engels-Forums unbebaut bliebe, würde auch die Sichtachse auf das Schloss nicht verstellt.

Lüscher begründet ihren Vorschlag mit der bestehenden Dichte nicht nur von Baukörpern, sondern auch von Kultureinrichtungen im Quartier: auf der Museumsinsel, Unter den Linden – und im Humboldtforum. Dort sollen Besucher ab 2019 die außereuropäischen Sammlungen sehen können, in Bibliotheken und Mediatheken Terminals benutzen oder Bücher ausleihen in einer Zweigstelle der Zentral- und Landesbibliothek. Wer sehnt sich danach nicht nach frischer Luft, Wasser, Grün? „Schon heute ist der Lustgarten im Sommer so bevölkert“, sagt Lüscher. Deshalb bedürfe es dieses zweiten innerstädtischen Freiraums am Humboldtforum.

Info-Box zum Berliner Stadtschloss

Ob das so kommt, soll ein städtebaulicher Wettbewerb entscheiden. Ausgelobt wird dieser aber erst nach Abschluss einer „gut strukturierten Debatte“, heißt es beim Senat. Wird hier auf Zeit gespielt?

Bereits die Koalitionsverhandlungen zeigten das Konfliktpotenzial auf, das die Planspiele in diesem neuen zentralen Dreieck der Stadtentwicklung mit sich bringen. SPD und CDU einigten sich schließlich auf den Wettbewerb „in dieser Legislaturperiode“ und bügelten die widersprüchlichen Positionen in einem rhetorischen Kraftakt glatt: Es gehe darum, „die richtige Balance zwischen der Sensibilität für die historische Gestalt der Berliner Altstadt und einer möglichen baulichen Entwicklung und der Bewahrung grün geprägten städtischen Freiraums“ zu finden. Entscheidung vertagt, könnte man auch sagen, denn oft genug folgte auf Wettbewerbe – gar nichts.

Das Marienviertel sei eine „gute Lage, aber auch ein sehr lauter Ort“, sagt der Berlin-Chef von CA Immo, Henrik Thomsen. Er entwickelt die Europacity am Hauptbahnhof, derzeit auch noch eine Brache, aber ohne stadthistorisches Erbe. „Es wäre falsch, Kleinzehlendorf zwischen Gebäuden wie dem Schloss oder dem Roten Rathaus zu bauen“, sagt er. Aber selbst wenn „nur Townhäuser auf kleinen Parzellen“ entstünden, gäbe es dafür Käufer.

Ein Kompromiss sind die Vorschläge von Ex-Senatsbaudirektor Hans Stimmann für einen „bürgerlichen Wohnort mit Hotels und Läden“. Diese Pläne stellte er vor zwei Jahren in einem Buch über das Berliner Zentrum vor. Stimmann hat in Kulturstaatssekretär André Schmitz bis heute einen wichtigen Fürsprecher für seine Ideen. „Die Grundstücke muss die Stadt nicht an Investoren verkaufen, sondern an Bürger, die dort ein Haus bauen wollen“, sagt Stimmann. Ähnlich wie am Friedrichswerder. So könne auf historischem Stadtgrundriss eine Bürgerstadt des 21. Jahrhunderts entstehen.

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