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Hund und Herr: Schlacht am See

Helmut Schümann hat keinen Pubertisten mehr, dafür einen Hund. An dieser Stelle schreibt er, Schümann, nicht der Hund, immer montags über sein Leben als Welpenassistent in Berlin. Heute über die Freude und den Ärger über das Schwimmen im See.

Wilmer kann jetzt auch schwimmen. Bislang traute er sich nur ins seichte Wasser, gerade so weit, dass er noch stehen konnte, mit dem Kopf über Wasser. Neulich aber trieb ein Blatt langsam und etwas weiter vom Ufer entfernt auf dem See. Blätter sind aus der Sicht Wilmers offensichtlich Drachen, die es zu bekämpfen gilt. Zu Land ohnehin, aber eben auch zu Wasser. Und plötzlich schwamm Wilmer.

Wer glaubt, Hunde könnten keinen Stolz zeigen, brauchte nur Wilmer anzuschauen, wie er anschließend wieder am Ufer stand, sich schüttelte und dann mit hoch erhobenem Haupt den Welpenassistenten anschaute. Der will Wilmer nicht vermenschlichen. Doch damals, als der Kleine, der später der Pubertist wurde, sich erhob und die ersten Schritte in die Welt setzte, war das ein unvergleichliches Erlebnis. Also war jetzt am See ein Anruf bei Dr. Frauchen fällig: „Wilmer schwimmt!“

Wilmer ist kein Seehund, in die Pfoten klatschen kann er nicht. Und Fische fängt er auch nicht. Zumindest noch nicht. Aber ein Wassertier ist er genetisch ganz sicher, gezüchtet, um gejagte und ins Wasser gefallene Enten zu apportieren. Der Assi kann mit Fug und Recht sagen, dass Wilmer in seinem Element ist, wenn er im Wasser ist. An seinem Zweitwohnsitz in Bayern ist das kein Problem, da gibt es Bergbäche und Bergseen, da stört so ein Seehund nicht und niemand. Aber in der großen Stadt schon, selbst wenn sie auch Hundehauptstadt ist. Dass sich Hundehalter und Hundenichthalter ziemlich dumm und unversöhnlich gegenüberstehen, ist wohl bekannt – eine Teilung der Stadt, die der Assi früher nie so recht wahrgenommen hat, jetzt aber umso deutlicher.

Zurzeit ist es besonders arg, zurzeit wird die Schlacht am Schlachtensee geschlagen. Mit Petitionen, Eingaben, Widersprüchen, mit der geballten und gebellten Kraft der Bürokratie, für die sich Wilmer und Kollegen allerdings keinen Deut interessieren. Es wird mit harten Bandagen gekämpft.

Auch der Assi ist schon übelst beschimpft worden. Zum Beispiel als einer, der sich den Wilmer nur hält, weil er seine Machtgelüste nicht mehr am Pubertisten auslassen kann. Das ist aber weit gefehlt. So wie der Pubertist den Vater fest im Griff hatte, so weiß auch der Wilmer, wie er den Assi übers Stöckchen springen lässt. Kürzlich, das war in Tegel, rutschte Wilmer auf einem eisigen Steg aus und plumpste ins Wasser. Da konnte er noch nicht schwimmen. Und wie der Assi nach der Rettungsaktion aussah, können sich hämische Hundehasser und mitleidige Hundefreunde sicher vorstellen. Also, wer hat hier Machtgelüste? Es heißt nicht umsonst „Hund und Herr“ statt „Herr und Hund“.

Zurück zum See. Wilmer wird es selbst nach der Pubertät garantiert nie begreifen, warum er außerhalb der Badesaison nicht in den See darf. Der Welpenassistent aber auch nicht. Wilmer wird ebenso wenig begreifen, warum er auch während der Badesaison nicht in den See darf. Es geht wohl eher ums Grundsätzliche, also um Hund an sich.

Wilmer, den Hund des Welpenassistenten, bekümmert das derweil noch nicht. Er schaut hoch zum Assi, dreht sich um, hüpft ins Wasser und schwimmt. Noch darf er. Schließlich muss ja einer den See sauber halten. Wilmer macht das und apportiert Blätter und anderes Treibgut. Unermüdlich. Dann schüttelt er sich.

Die Kolumnen zum Nachlesen unter www.tagesspiegel.de/hundundherr

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