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Hungerstreik der Flüchtlinge: Zwangsernährung wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff

Beim Hungerstreik geht der Körper an die Substanz und braucht Hilfe von außen. Der Protest aus rechtlicher Sicht.

Die Polizei hat angekündigt, einen Gruppensuizid der hungerstreikenden Flüchtlinge am Brandenburger Tor verhindern zu wollen. Die Frage ist nur, wie – und welche Eingriffe zulässig sind. Einzelne Personen werden medizinisch überwacht oder sind schon im Krankenhaus. Wird ihr Zustand lebensbedrohlich, müssten sie künstlich ernährt werden.

Aus juristischer Sicht ist das ein heikles Problem. Die Grundrechte des Einzelnen stehen gegen die Schutzpflichten des Staates. Deshalb ist ein Hungerstreik so effektvoll: Jemand schwächt sich selbst und riskiert seinen Tod, weil er weiß, dass der Staat ihn im Prinzip nicht retten darf und daher seine Forderung erfüllen muss, um seiner Schutzpflicht Genüge zu tun. Denn ist es der ausdrückliche Wille des Hungernden, zu sterben, wenn etwa sein Asylantrag nicht positiv beschieden wird, sind Behörden im Prinzip die Hände gebunden. Eine Zwangsernährung wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht.

Ein entkräfteter hungerstreikender Flüchtling ist ein Patient. Und Patientenautonomie wird heute ernster genommen als früher. Entscheidend jedoch ist der Einzelfall. Hat etwa ein Flüchtling in einer Patientenverfügung ausdrücklich klargestellt, dass er jegliche lebenserhaltende Maßnahme ablehnt, dürfte er theoretisch von Ärzten auch nicht ernährt werden. Praktisch stehen die Behörden vor dem Dilemma, einen solchen Menschen auch nicht einfach sterben lassen zu können. Je stärker die freie Willensentscheidung des Betroffenen zu bezweifeln ist, desto eher dürfen sich die Behörden und Ärzte zum Handeln veranlasst sehen. Andernfalls liefen sie zudem Gefahr sich strafbar zu machen.

Eine besondere Situation gibt es im Strafvollzug. Hier gilt ein Gesetz, wonach die zwangsweise Ernährung „bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen“ zulässig sei. Zugleich heißt es aber auch: „Zur Durchführung der Maßnahmen ist die Vollzugsbehörde nicht verpflichtet, solange von einer freien Willensbestimmung des Gefangenen ausgegangen werden kann.“ Dafür kann es unerheblich sein, dass ein Gefangener ins Koma fällt – schließlich wirkt seine selbstverantwortliche Entscheidung auch dann noch, wenn er sie nicht mehr weiter äußern kann. In der Praxis dürfte dann aber die Grenze erreicht sein, bis zu der sich der Staat auf das Zusehen beschränkt.

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