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Berlin: Huschang Chahmoradi Tabatabai (Geb. 1935)

In den Iran reiste er nur noch selten

So oft Huschang Chahmoradi Tabatabai als Kind umgezogen war, so begrenzt und behütet war seine Welt. Ob sie am Kaspischen Meer lebten, zu Füßen des Elburs-Gebirges oder am Rande der Wüste – die elterlichen Anwesen waren stets von hohen Mauern gesäumt. Sein Vater war ein hochrangiger Offizier des iranischen Schah-Regimes, der seine Adjutanten hin und wieder dafür einsetzte, Huschang und dessen vier jüngere Geschwister zu bewachen. Huschangs Mutter war eine liebevolle, aber sehr besorgte Frau, die es ihren Kindern untersagte, Schwimmen oder Radfahren zu lernen, weil ihr das zu gefährlich erschien.

Das Schlupfloch aus diesen Mauern der Fürsorge: die Literatur. Von den Schriftstellern ließ sich Huschang mitnehmen in ferne Welten und verwegene Gedankengebäude, mit ihnen führte er die spannendsten Gespräche. Als Huschang 1955 seinen Studienplatz in München erhielt, kannte er Goethe besser als jeder deutsche Kommilitone.

Auch dies gehörte zum Behütungsplan der Eltern: die Kinder zum Studieren nach Deutschland oder in die USA zu schicken. Fremdenfeindlichkeit, so erzählte Huschang später, sei ihm im Bayern der fünfziger Jahre nicht begegnet. Im Gegenteil. Er kam Jahre vor den ersten Gastarbeitern, und seine Erscheinung musste jedem bayrisch-bürgerlichen Gemüt schmeicheln: Huschang Chahmoradi Tabatabai hatte vorbildliche Manieren, war umfassend gebildet und bekam von daheim Dollars geschickt. Die Steine, die gegen sein Zimmerfenster flogen, wurden von verliebten Mädchen geworfen. Huschangs Zimmerwirtin bewachte ihn wie einst seine Mutter.

So sehr Huschang sich über die Steinchen freute, so sehr verwirrten sie ihn. Als er noch klein war, hatte sein Vater ihn einmal mitgenommen zu seinen Konkubinen. Dass er daheim nichts von den Damen erzählen durfte, die sich doch so nett um ihn gekümmert hatten, missfiel ihm. Er liebte seine Mutter und ahnte, dass der Vater ihn zum Komplizen ihres Unglücks machte.

Auch in Deutschland informierten die Männer ihre Ehefrauen nicht über Exkursionen ins Reich der käuflichen Liebe. Aber in anderen Bereichen war die Heimlichtuerei aufgehoben: Er durfte junge, unverheiratete Frauen lieben, ohne sich dafür zu rechtfertigen. Eine Befreiung. Und doch missfiel ihm das Vage, sehnte er sich nach Festigkeit. Dieses Pendeln zwischen Freude und Unbehagen, das Sinnieren über die rechte und die unrechte Art des Liebens, beanspruchte drei Semester. Dann wechselte Huschang seinen Studienort und widmete sich in Frankfurt ganz dem Stoff, dem die elterlichen Geldsendungen galten: dem Studium der Humanmedizin.

Einen Versuch der Eltern, ihn im Iran zu verheiraten, lehnte er ab.

Als er die Kürschnerin und Kosmetikerin Brigitta kennenlernte, war er 30 Jahre alt und angehender Chirurg im Waldkrankenhaus Spandau. Ihre unternehmungslustige Art gefiel ihm, von ihr ließ er sich gerne mitnehmen auf Feste, Reisen und in eine Ehe mit zwei Söhnen.

Nebenher arbeitete er als Konsiliar-Chirurg der Landesnervenklinik. Sein warmherziger Blick wirkte beruhigend auf die Verzweifelten. Sie ließen es zu, dass er ihre selbst zugefügten Wunden versorgte. „Doktor Huschi“ wurde er von Patienten und Kollegen gerufen, auch als er längst Oberarzt war. Er freute sich darüber, Eitelkeit und Weißkittel-Dünkel lagen ihm fern.

Auch das Wartezimmer seiner Unfallpraxis in Siemensstadt war hoch frequentiert. Die Menschen, Arbeiter zumeist, kamen gern zu ihm. Nichts stimmte Dr. Tabatabai fröhlicher als ein Röntgenbild, auf dem Genesung sichtbar wurde. Psychosomatische Phänomene wie Wundheilungsstörungen hatten kaum eine Chance gegen diese Heilungsfreude und verschwanden wie von selbst.

In den Iran reiste er nur noch selten. Die Flüge waren teuer und mit den Unruhen wuchs die Angst, nicht mehr ausreisen zu dürfen. Geblieben war ihm eine schwärmerische Sehnsucht. Dann erzählte er von der Vielseitigkeit der iranischen Landschaft, von der besseren Bezahlung der Ärzte und den großen Familienfesten. Seine Söhne ließ er kein Persisch lernen. Er wollte ihnen das Gefühl ersparen, zwischen zwei Kulturen aufzuwachsen.

Der heiligste Ort blieb ihm seine Bibliothek. Die Regale hatte er aus teurem Holz fertigen lassen, den Boden hatte er mit Perserteppichen ausgelegt. Darauf sahen seine Kinder ihn oft nachdenklich im Kreis umherlaufen. Gar kein Ende nehmen wollte dieses Im-Kreis-Laufen, als die Revolution sich anbahnte. Da las er kaum mehr Bücher und hörte nur noch „Radio Teheran“. Seine Eltern starben kurz nach dem Umsturz.

Seine letzten Jahre verbrachte er zurückgezogen mit Brigitta. Nach ihrem Tod besuchte Huschang dreimal täglich ihr Grab. Früher war er auch oft an die Grabstätten seiner Lieblingsschriftsteller gepilgert. Als seine eigenen Kräfte zu schwinden begannen, kam er in das Pflegeheim des Waldkrankenhauses. Dort blickte er auf dieselben Baumwipfel wie damals aus seinem Arbeitszimmer. „Das Waldkrankenhaus ist mein Schicksal“, war einer seiner letzten klaren Sätze. Es klang zufrieden. Anne Jelena Schulte

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