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Hygiene im Krankenhaus: Ansteckungsgefahr auf Station

Im Krankenhaus kann man krank werden. Spezialisten versuchen zu verhindern, dass sich gefährliche Mikroben ausbreiten.

Frühjahr 2012: Wieder löst ein tödliches Drama eine bundesweite Debatte um die Hygiene in den deutschen Krankenhäusern aus. Drei Frühgeborene waren im Klinikum Bremen-Mitte an einer Blutvergiftung gestorben. Bei allen war ein Krankheitserreger im Blut nachgewiesen worden, der sich wahrscheinlich in der Klinik ausgebreitet hatte.

Dieses Risiko, sich in der Klinik zu infizieren, ist also real – und so häufig, dass Mediziner dafür einen Fachbegriff haben: nosokomiale Infektion. Neue Studien haben ergeben, dass sich etwa 3,5 Prozent aller Patienten im Krankenhaus mit Mikroben infizieren. Allein in Berlin wären das statistisch 25 000 Patienten jährlich. Das sind zum Beispiel Harnwegsinfektionen oder entzündete Operationswunden, Atemwegserkrankungen oder gar eine Sepsis, eine Blutvergiftung, die zu Nierenversagen und zum Tod führen kann.

Die Erreger schleppen andere Kranke ins Haus, aber auch Besucher und das Personal. Denn was für sie ungefährliche Mikroorganismen sind, kann für einen immungeschwächten Klinikpatienten zur tödlichen Gefahr werden.

Ein Problem, das den Fachleuten durchaus bewusst ist: Jedes Jahr im Mai gibt es deshalb den „Aktionstag Saubere Hände“. An diesem Tag erfahren Klinikmanager, Politiker, Ärzte, Schwestern und Pfleger, was porentief rein bedeutet. Ein richtiges Event ist das in manchen Häusern. UV-Lampen machen sichtbar, wie viele Flecken einer Hand bei falschem Einsatz von Desinfektionsmittel unbenetzt bleiben und so gefährliche Verstecke für Erreger auf der Haut von Besuchern und Personal bieten.

Die Botschaft muss ständig wiederholt werden. Es geht um das Einstudieren von Automatismen. Hände desinfizieren! Vor jedem Patientenkontakt. Ein Spender für Desinfektionsmittel sollte in einem Krankenhaus immer in unmittelbarer Nähe zu finden sein, sagen Hygienefachleute wie Klaus-Dieter Zastrow, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene. Neben das Krankenbett, da gehörten die Dinger hin, sagt Zastrow, der auch der oberste Hygieniker des landeseigenen Klinikkonzerns Vivantes ist.

Auch die Patienten selbst können es im Auge behalten, ob sich Schwester oder Arzt die Hände desinfizieren, bevor sie sich mit ihnen beschäftigen.

Der Kampf richtet sich also gegen einen unsichtbaren Gegner – in mehrfacher Hinsicht. Denn wie viele Patienten sich im Krankenhaus mit Erregern infizieren und wie viele daran sterben, ist umstritten, weil es an Daten mangelt.

Ein System, das Daten sammelt und damit Klinikhygiene transparenter macht, trägt den putzigen Namen KISS. Das steht für Krankenhausinfektionen-Surveillance, also Beobachtung. KISS wurde 1997 in Deutschland ins Leben gerufen, um Infektionen und auch die Gegenmaßnahmen in den Kliniken zu überwachen. Dazu zählt etwa die Dokumentation von Wundinfektionen nach Operationen, von antibiotikaresistenten Krankheitskeimen oder über den Verbrauch von Händedesinfektionsmitteln.

Die Teilnahme an dem System ist freiwillig. Aus den anfangs 20 beteiligten Krankenhäusern sind rund 1000 geworden – von 1700 Akutkliniken in Deutschland. Darunter auch Kliniken, die nur mit einzelnen Fachabteilungen dabei sind.

Die Analyse der gelieferten Daten übernimmt das Nationale Referenzzentrum für Krankenhaushygiene (NRZ), das an der Charité beheimatet ist und von der Chefhygienikerin der Universitätsklinik Petra Gastmeier geleitet wird.

Mittlerweile sei das System europaweit vernetzt, sagt Petra Gastmeier, und damit das zweitgrößte Hygienenetzwerk nach den USA mit rund 3000 Krankenhäusern.

Allerdings läuft durch die Welt der Hygieniker ein tiefer Riss. Denn KISS hat nicht nur Anhänger, sondern auch erklärte Gegner. Zum Beispiel in Gestalt des Vivantes-Chefhygienikers Klaus-Dieter Zastrow, der auch Vorsitzender des Berufsverbandes der Klinikhygieniker ist. Seine Hauptkritik an KISS lautet: Das System erlaube nur eine retrospektive Datenauswertung, also nur in der langfristigen Rückschau. Dann sei es aber oft schon zu spät für Gegenmaßnahmen.

Deshalb, so die Kritiker, müsse es ein System geben, das bereits nach zwei oder drei aufgetretenen ungewöhnlichen Infektionsfällen automatisch Alarm schlage, um sofort nach den Ursachen zu fahnden. So ein System habe man für Vivantes aufgebaut, sagt Zastrow. „Jede Klinikinfektion muss dokumentiert werden – und der ausgefüllte Meldebogen geht per Fax an mich.“ Wenn solche Fälle irgendwo gehäuft auftreten, kommt Zastrow unangemeldet auf die Station und sucht nach Gründen. Könnte ja sein, dass ein Pfleger beim Verbandswechsel regelmäßig etwas falsch macht und so Patienten infiziert.

Doch auch dieses System ruft Kritiker auf den Plan. Denn könnte es nicht sein, dass die Stationsärzte manche Infektionen einfach übersehen und nicht weitermelden? Deshalb sollten Hygienefachkräfte auf den Stationen regelmäßig die Infektionssituation prüfen.

Und das KISS biete auch die Möglichkeit, Hygienedaten sofort per Internetzugang an das NRZ zur Auswertung zu übertragen. Und die Kliniken können sich daraus auch aktuelle Auswertungen ziehen. „Es liegt in der Hand des Krankenhauses selbst, wie schnell es die Daten hat“, sagt KISS-Chefhygienikerin Gastmeier.

Hygieniker galten zu früheren Zeiten als Störfaktoren im Klinikbetrieb. Weil sie so pingelig sind, sein müssen. Diese Zeiten haben sich geändert. Zastrow zum Beispiel kann inzwischen ein demonstratives Selbstbewusstsein zeigen. Er und seine Mitarbeiter ersparen nicht nur manchem Kranken eine langwierige und schmerzhafte, mitunter tödliche Infektion, sie sparen auch Kosten. Seit einigen Jahren gelten in Deutschland Fallpauschalen, das heißt, die Klinik bekommt eine feste Summe pro behandelter Krankheit - egal, wie viele Tage der Patient bleibt. Je länger er das Bett hütet, desto weniger verdient die Klinik an ihm. Studien haben gezeigt, dass Patienten, bei denen sich Keime in der Operationswunde einnisten, im Schnitt 7,3 Tage länger in der Klinik bleiben müssen. Wer sich im Krankenhaus mit einer Lungenentzündung ansteckt, muss sechs Tage länger bleiben.

Die Autoren einer Studie im Vivantes Klinikum im Friedrichshain haben berechnet, dass die Behandlung eines Patienten, der sich im Krankenhaus einen antibiotikaresistenten Erreger eingefangen hat, im Schnitt 11 000 Euro kostet. Dem stand ein Erlös von den Krankenkassen von 3000 Euro gegenüber – ein Verlustgeschäft also. Die billigste Lösung ist: Hören Sie auf Ihren Hygieniker! Die teuerste Konsequenz: ein Prozess. Infektionen wegen mangelnder Hygiene gelten als Kunstfehler. Und der Schadensersatz kann teuer werden.

Zusätzlich motivieren auch gesetzliche Vorgaben. In Berlin etwa gilt seit einem halben Jahr für alle Krankenhäuser eine Hygieneverordnung. Das alles erleichtert den Hygienikern ihren Job.

Mit konsequenter Vorsorge ließen sich die Ansteckungszahlen um 30 Prozent verringern. „So ein Erfolg ist bei keiner anderen Infektionskrankheit zu erreichen“, sagt Zastrow. Auch Charité-Hygienikerin Petra Gastmeier meint: „Bei den Kliniken, die sich KISS anschließen und sich dadurch erstmals richtig mit dem Thema beschäftigen, beobachten wir oft einen Rückgang der Infektionszahlen um 20, manchmal 30 Prozent.“

Zahlen, deren Allgemeingültigkeit sich nur schwer beweisen lässt. Denn die Klinikhygiene-Überwachungssysteme stecken in einem Dilemma, wenn es um die Bewertung des Erfolges der Bemühungen geht. Eigentlich gibt es nur zwei harte Fakten zur Beurteilung der Qualität von Hygienemaßnahmen: die Zahl der Patienten, die sich im Krankenhaus angesteckt haben, und die Zahl derjenigen, die daran gestorben sind. Doch beide Systeme liefern solche Zahlen nicht, einfach deshalb, weil dafür ständig sämtliche Patienten und deren Krankheitsstatus überwacht werden müssten.

Schon die Schätzungen, wie viele Patienten pro Jahr an einer im Krankenhaus erworbenen Infektion sterben, liegen weit auseinander. Zastrow spricht von 40 000 Toten, Gastmeier von 10 000 bis 15 000 - und selbst davon sei nur ein Drittel vom Krankenhaus zu beeinflussen. „Eine gewisse Anzahl von nosokomialen Infektionen ist trotz aller Mühen nicht zu vermeiden“, sagt die Fachfrau.

Offenbar wird dadurch nur eines: belastbare Zahlen sind in diesem Bereich Mangelware. Derzeit suchen Wissenschaftler nach einem verbindlichen Erfassungssystem für die Kliniken.

Keine Frage also, am Thema Hygiene kommen die Kliniken nicht mehr vorbei. Oder, wie es Klaus-Dieter Zastrow formuliert: „Hygiene ist nun mal Teil des ärztlichen Handelns - ohne Wenn und Aber.“

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