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Renate Rothbarth, 72, aus Zehlendorf: "Wonscht du in Oscht- oder Wescht-Berlin?"

© Röhlig

Ich bin ein BERLINER (67): „Russland und Rimini“

Renate Rothbarth nennt sich "Kehrwochenflüchtling", denn sie kam vor 50 Jahren aus Schwaben nach Berlin - und war sofort willkommen. In unserer Serie "Ich bin ein Berliner" erzählt die 72-Jährige aus Zehlendorf, wie ihre Heimat über den Ortswechsel dachte.

Ich bin ein Kehrwochenflüchtling. Ich komme aus der Nähe von Stuttgart, eines Tages, nachdem ich in der „Stuttgarter Zeitung“ einen Aufruf gelesen hatte, dass in West-Berlin Arbeitskräfte gesucht würden, sagte ich zu meinen Eltern: Ich geh’ nach Berlin’. Ich war damals noch keine 21, meine Eltern stimmten trotzdem zu, denn wir hatten entfernte Verwandte in Berlin. Die Nachbarn dagegen waren besorgt: Habe Sie koi Angscht um Ihr Döchterle? Da in Sibirien? Ond all de Russe da?’ Schon für Adenauer begann ja gleich hinter der Elbe Sibirien’.

Am 31. Dezember 1961 flog ich nach Berlin, mein erster Flug überhaupt! Ich war so aufgeregt. Mit einer Stunde Verspätung landete die Maschine schließlich in Tempelhof. Die Größe der Stadt erschreckte mich: Nach Feierabend fuhr ich einmal versehentlich mit dem Bus in die falsche Richtung und landete wieder am Flughafen Tempelhof. Allmählich lernte ich die Stadt kennen und lieben.

Ich arbeitete in einem Ingenieurbüro in Kreuzberg, bald zog ich bei meinen Verwandten aus und in ein kleines Zimmer zur Untermiete um. Wenn ich nach Hause fuhr, wurde mir immer wieder die Frage gestellt: Wonscht du in Oscht- oder Wescht-Berlin?’. Da wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie groß die Kluft zwischen den West-Berlinern und den Westdeutschen war.

Im Sommer 1962 plante ich meinen Urlaub. Im Tagesspiegel las ich zufällig von dem Deutschen Jugend-Reisebüro Manfred Möwis’, das als einziges Reisebüro in Berlin Jugendreisen anbot. Eine Novität damals. Und weil damals alle in den Süden fuhren, suchte ich mir eine Reise nach Rimini an der italienischen Adria aus.

Dort traf ich einen großen, blonden Berliner, wir verstanden uns auf Anhieb. Das Datum unseres Treffens, den 11. September 1962, haben wir später in unsere Eheringe eingravieren lassen. Wir sind heute noch glücklich verheiratet.

Vor 50 Jahren - am 26. Juni 1963 - hielt John F. Kennedy seine berühmte Berliner Rede. Hier erzählen 100 Berliner, was ihnen diese Worte bedeuten - und wie sie die Stadt heute erleben. Siemens unterstützt das Tagesspiegel-Projekt. Alle bisher erschienen Videos zu der Serie "Ich bin ein Berliner" finden Sie unter: www.tagesspiegel.de/berliner

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