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Berlin: „Ich bin nur ein Sandkorn im Universum“

Günter Rexrodt, Spitzenkandidat der FDP, liebt die Astrophysik. Und nichts regt ihn mehr auf als grüne Fundamentalisten

Von Claudia Keller

Berliner Finanzsenator, Bundeswirtschaftsminister – und doch sagt er: „Ich bin nur ein Sandkorn im Universum“. Günter Rexrodt liebt die Astrophysik. Fast wäre er Naturwissenschaftler geworden, er war schon eingeschrieben in der Technischen Hochschule in Dresden. Es ist anders gekommen. Heute hängt sein Konterfei, blau-gelb gerahmt, an jeder zweiten Straßenecke in Charlottenburg. Er ist die Nummer eins der Berliner FDP, Bundesschatzmeister der Liberalen, Mitglied im Bundespräsidium. Es ist Freitag, „Mister Wirtschaft“ trägt zum blauen Hemd mit Krawatte leger eine beige Jeans. Er sitzt im sechsten Stock in einem der neuen Abgeordnetenhäuser schräg gegenüber vom Reichstag. Von der Aussicht ist Rexrodt so fasziniert, dass sein Blick während er spricht, immer wieder hinausschweift, zum Tiergarten, zum Reichstag, in die weite Welt.

Aber nicht, als es um die Entstehung dieser Welt geht. Da ist er ganz konzentriert, seine blauen Augen leuchten, mit beiden Händen formt er die Planeten nach, die Strahlen, die am Beginn allen Lebens standen … Dann winkt er ab: „Das führt zu weit“. Um dann doch noch einmal bei den Strahlen anzufangen und in der Gegenwart anzukommen, bei den verschiedenen Formen von Gesellschaft, bei der FDP und dem „Mehltau“, der über der Republik liege, seit die FDP nicht mehr in der Regierungsverantwortung ist. „Das ist alles ein Zusammenhang.“

Für jemanden, der das Große und Ganze im Blick hat, schrumpft manches, worüber andere erbittert streiten. Zum Beispiel der Umweltschutz und der Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg. Die Erde hatte immer Phasen, in denen sie sich erwärmte, sagt Rexrodt. Die Klimaveränderung werde man nicht aufhalten können. Das soll man aber nicht missverstehen, natürlich müsse man den CO2-Ausstoß verringern. „Aber ob man das durch teure Auflagen für die hiesige Industrie tut, oder ob man nicht besser in China umweltfreundlichere Kraftwerke baut, das soll man sich bitte mal überlegen.“

Vielleicht Atomkraftwerke? „In zehn, zwanzig Jahren wird man anders über Atomkraft denken als heute“, sagt der Politiker. Wenn die Erdbevölkerung auf acht Milliarden angewachsen sein wird, dann werde man sehen, dass nur die Atomkraft den Energiebedarf für solche Massen decken kann. Die Grünen, die das anders sehen, sind für Rexrodt „Fundamentalisten“. Er schleudert die rechte Hand in den Raum. Fundamentalist, so scheint es, ist für den Liberalen das schlimmste Schimpfwort. Fundamentalist, das heißt kleinkariert, verbohrt und damit genau das Gegenteil vom großen Wurf. Wenn er an die „ganz schrecklichen“ Diskussionen mit den Grünen während der Koalitionsverhandlungen im Januar denkt, regt er sich noch immer auf. „Gender mainstreaming“ und so „groteskes“ Zeug hätte im Entwurf der Grünen gestanden, man habe ja noch nicht mal verstanden, was die wollten.

Beruhigend wirkt da offensichtlich, über das eigene FDP-Wahlprogramm zu sprechen. Über die „Deregulierung des Arbeitsmarktes“, die „Pauschalisierung der Steuersätze“ und die „Änderung der Zumutbarkeitskriterien“ beim Arbeitslosengeld redet der Polit-Profi wie gedruckt. Und so, als ob dort vorne, wo seine Augen immer wieder festgehalten werden, anstatt des großen Gemäldes ein Teleprompter hinge.

Seit zwei Jahrzehnten kämpft Rexrodt dafür, dass der Kündigungsschutz gelockert wird, das Tarifrecht beschnitten und flexiblere Beschäftigungsverhältnisse möglich werden, dass es differenziertere Schulsysteme gibt und dass der Staat nicht mehr so viel bestimmt. Seit zwanzig Jahren immer die gleichen Forderungen. Und jetzt ist Wahlkampf. „Da muss man wieder tingeln“, sagt er und faltet die Hände. „Das ist wichtig, da erfährt man, was der Bürger denkt, sonst hebt man ab.“

Wie der Bürger dazu steht, dass Günter Rexrodt im Februar nach den gescheiterten Nächten mit den Grünen überraschend den Fraktionsvorsitz aufgegeben hat, weiß er: „Danach fragt niemand mehr“. Es klingt, als sei er vergangenen Herbst nur mal eben für einen Job in Berlin eingeflogen worden. So wie James Bond. Und so wie bei James Bond immer schon der nächste Auftrag wartet, so ist es dem 61-jährigen Rexrodt bisher gelungen, immer wiederzukehren, immer eine Stufe höher: Geschäftsführer der Berliner IHK, Berliner FDP-Vorsitzender, Finanzsenator, dann ein paar Jahre im Vorstand der Citibank und der Treuhand, 1993 die Rückkehr in die Politik als Wirtschaftsminister. Im Jahr 2000 übernahm er wieder den Vorsitz der Berliner FDP, immer begleitet von Aufsichtsratspositionen bei Hightech-Firmen und Beratungsunternehmen. Fehlt nur noch eine Aufgabe bei der EU. „Die Ämter werden nach der Wahl verteilt“, sagt Rexrodt, „aber Brüssel ist eine schöne Stadt“. Dass er seine Zukunft nicht in der Landespolitik sieht, sei doch klar gewesen. „Ich gehe dahin zurück, wo ich meine, gebraucht zu werden“, sagt Rexrodt. Und jetzt müsse er dringend mit Westerwelle telefonieren.

Als er sich umdreht und den Raum verlässt, lugt aus seiner rechten Hosentasche, dort, wo bei Männern in der Jeans oft der Geldbeutel steckt, ein blauer Kamm hervor. Ob da eine 18 drauf steht, sieht man nicht.

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