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Berlin: "Ich danke dem Herrgott, dass ich nicht Berlins Sorgen habe"

Christian Ude (54) ist seit acht Jahren Münchner Oberbürgermeister. Der SPD-Mann lernte Journalismus bei der "Süddeutschen Zeitung" und arbeitete später als Mieteranwalt.

Christian Ude (54) ist seit acht Jahren Münchner Oberbürgermeister. Der SPD-Mann lernte Journalismus bei der "Süddeutschen Zeitung" und arbeitete später als Mieteranwalt. Ude, der 1999 mit 61,2 Prozent wiedergewählt wurde, gilt als Linker und stützt sich auf eine rot-grüne Mehrheit im Rathaus - dennoch ist mehr als die Hälfte auch der CSU-Wähler mit seiner Amtsführung einverstanden.

Der Berliner CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel hat sich hier keine Freunde gemacht, als er München die schönste Stadt Deutschlands nannte. Haben Sie ihm schon gedankt?

Nein, aber ich habe über die Engherzigkeit der Berliner nur den Kopf schütteln können. Ich sage das täglich ohne die geringste negative Wirkung, und der Mann spricht einmal aus, was in München sowieso jeder weiß, und ganz Berlin fällt über ihn her. Das ist mit Berlins liberalem Ruf nicht zu vereinbaren.

Erhoffen Sie Ähnliches von Klaus Wowereit?

Von ihm erhoffe ich mir, dass er sich jetzt auch als Kommunalpolitiker versteht und verhält, denn er ist von uns Bürgermeistern einer der wenigen, die auch bei Bund-Länder-Verhandlungen dabei sind. Da sollte er aufpassen, dass die Kommunen nicht über den Tisch gezogen werden. Und dann wünsche ich mir natürlich, dass er mit seiner gemischten Raubtiernummer aus SPD, Grünen und FDP gut zurechtkommt.

Auch in München hätte es ja 1990 zur Koalition mit der FDP gereicht.

Und witzigerweise haben wir beide Koalitionen geschlossen: mit der FDP die Vereinbarung, dass wir die neue Messe realisieren, die seither zum Wachstumsmotor für die Stadt geworden ist. Und mit den Grünen haben wir alle anderen Fragen geregelt. Die Grünen haben diese Übereinkunft akzeptiert. Sie waren weise genug, die Messe nicht ernsthaft zu verhindern, aber sie waren nicht weise genug, sie zur eigenen Sache zu machen. Sie sind äußerst umgänglich und konstruktiv und zuverlässig, aber bei Großprojekten packt sie irgendwann die Angst vor der eigenen Courage.

Sie können eben mit wechselnden Mehrheiten regieren!

Nur bei Großprojekten, wo die Grünen eine letztlich schizophrene Haltung haben: Sie wissen, dass die Stadt sie braucht, sie haben aber nicht genug Schneid, vor der eigenen Basis ein richtiges Ja zu vertreten. Das macht es ein bisschen kompliziert. Wir haben die Messe mit der FDP und mit CSU-Stimmen beschlossen, und das neue Stadion wird jetzt von SPD und CSU getragen. Das grüne Abseits war deswegen für uns keine ernste Gefahr.

In München findet sogar mehr als die Hälfte der CSU-Wähler, dass Sie ein guter OB sind. Haben Sie einen Tipp für Wowereit?

Er hat die Wahl gewonnnen, was ja zeigt, dass er auf dem richtigen Weg ist. Und ich hatte diese Zustimmung auch nicht von Anfang an. Es ist wichtig, wirtschaftspolitisch und bei der Verkehrspolitik nicht ins grüne Abseits zu geraten. Da muss Problemlösungskompetenz bewiesen werden, auch wenn es im Bündnis mit den Grünen knirscht. Dann überzeugt man auch konservative Wähler und die technische Intelligenz.

Und dann haben Sie, im Gegensatz zu Berlin, eine boomende Wirtschaft. Hat es München nicht einfach leichter als Berlin?

München hatte viele Startvorteile, die sich niemand als politisches Verdienst anrechnen kann: München war auch Spaltungsgewinnlerin, auf Kosten Berlins. Wegen der Teilung der Stadt ist Siemens nach München gekommen und mit Siemens praktisch die gesamte Elektro- und später Elektronikbranche. Deswegen ist die Max-Planck-Gesellschaft nicht in Berlin, sondern in München, und mit ihr ein ganzes Umfeld an Forschung und Entwicklung. Glücklicherweise haben wir keine der Industrien, die jetzt in der Krise stecken, weder Werften noch Kohle, Stahl oder Textil. Und wir haben den Fahrzeugbau. BMW hat trotz Rover gerade sein bestes Geschäftsjahr hinter sich. Nach den neuesten Zahlen haben wir in München vier Prozent Arbeitslosigkeit - da sind wir in einer beneidenswerten Situation.

Alles nur geerbt - oder können wir auch von München lernen?

So weit wollte ich mit der Bescheidenheit nicht gehen. Ich kann nur diese unerträgliche Selbstbeweihräucherung von Amtsinhabern nicht leiden, die alles, was gelungen ist, als Verdienst in Anspruch nehmen, auch wenn in Wahrheit die geographische Lage ursächlich ist, das kulturelle Erbe der bayerischen Könige oder die deutsche Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber dass wir eine hervorragende Infrastruktur und ausgezeichnete Ausbildung bieten können mit den besten deutschen Berufsschulen, dazu die staatlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, dass ein Cluster vorhanden ist gerade für neue Technologien - das sind schon Erfolge von Politik.

Was muss Berlin noch tun?

Ich glaube, Berlin hat schon unglaublich viel richtig gemacht. Die kulturelle Attraktivität ist da. Berlin ist die politische Zentrale. Städtebaulich und architektonisch geschieht aufregend viel - da erscheint München als Idylle am Fuße der Alpen. Berlin braucht Unternehmen. Wie man die bekommt - nur ein Scharlatan würde behaupten, er habe das Rezept. Ich würde aber empfehlen, auf die Zukunftsbranchen der nächsten zwei Jahrzehnte zu setzen, etwa auf Life Science. Und das geht am ehesten über die Forschungs- und Hochschulpolitik, über Angebote an den wissenschaftlichen und technischen Nachwuchs, Hilfe beim Existenzgründen.

Angenommen, Sie regierten Berlin und nicht München: Würden Sie sich um die Olympischen Spiele bewerben?

Ich habe mit Schmunzeln gelesen, dass man das hier alles privat finanzieren möchte. So sieht das Lockvogel-Angebot immer aus: Es kostet euch gar nichts, ihr müsst nur ja sagen. Die Rechnung am Schluss sieht anders aus, bei allen sportlichen Großveranstaltungen. Trotzdem sind natürlich Spiele eine großartige Gelegenheit für eine Stadt, einen weltweiten Auftritt zu haben und einen Sprung in ihrer Infrastruktur zu machen. Vor überzogenen Hoffnungen kann ich aber nur warnen: Man sollte nüchtern durchrechnen.

Einer Ihrer Vorgänger, Hans-Jochen Vogel, wurde später Regierender in Berlin. Würde Sie das reizen?

Ich mag einfach nicht weg aus München. Und ich sage seit 1990 allen Lokalpatrioten, die fürchterliche Angst vor der Dynamik Berlins haben: Lasst den Unsinn. Berlin ist hinreißend, es ist größer, aufregender, interessanter, das müssen wir gelassen hinnehmen. Dafür danke ich meinem Herrgott auch täglich, dass ich zwar Lebensqualität und Vielfalt, aber die Berliner Sorgen nicht habe. Und München hat Vorzüge, die auch nicht zu verachten sind. Die Stadt vermittelt eine fast dörfliche Geborgenheit. Das ist etwas, das ich überhaupt nicht finde, wenn ich in Berlin spazieren gehe: einen Winkel, wo ich mich wohl und geborgen fühle.

Der Berliner CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel hat

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