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Berlin: „Ich habe besonderes Verständnis für West-Berlin“

Kultursenator Thomas Flierl über Teilungsfolgen, Verlustängste, volle Hochschulen und leere Denkmalsockel am Potsdamer Platz

Die Legislaturperiode nähert sich dem Ende. Herr Flierl, was war in den vergangenen viereinhalb Jahren das Wichtigste, was Sie erreicht haben?

Ich denke, es ist mir gelungen, trotz Haushaltsnotlage die kulturelle und wissenschaftliche Substanz Berlins zu erhalten und zu mehren. Und wir haben die Institutionen modernisiert – Stichwort Opernreform. Jetzt geht es darum, neue Ziele in Angriff zu nehmen, wie das Mauerkonzept oder auch die Förderung des zeitgenössischen Tanzes in Berlin.

Kann man an den Universitäten von Substanzerhalt sprechen? Es werden Studienplätze abgebaut.

Es war ein schmerzhafter Prozess, 75 Millionen Euro in den Universitätshaushalten zu reduzieren. Aber wir haben heute eine abgestimmte Strukturplanung in Berlin. Die Stadt ist nach München die erfolgreichste deutsche Stadt im Exzellenzwettbewerb der Bundesregierung. Und wir haben mit dem Konzept für die Charité dem drohenden Substanzverlust, nämlich der Aufgabe von ganzen Standorten, Einhalt geboten …

… trotzdem – es werden Studienplätze abgebaut.

Ich will das nicht schönreden, die Reduzierung der Hochschul-Haushalte war ein schwieriger Prozess. Die Hochschulen haben sich auf eine erstaunliche Weise darauf eingelassen. Auf Dauer sind die derzeitige Anzahl von Studienplätzen und der Hochschuletat zu niedrig. Wir müssen mittelfristig wieder auf 100 000 Studienplätze kommen, aber mit einer geordneten Strukturplanung und in einer durch den Exzellenzwettbewerb nach Qualitätskriterien bewerteten Hochschullandschaft.

Mehr Geld für die Universitäten: Geht das mit Finanzsenator Sarrazin?

Ich hoffe, dass der Bund die Länder durch den geplanten Hochschulpakt unterstützen wird. Dennoch wird die Debatte zwischen Fachpolitik und Finanzsenator jede künftige Regierung begleiten, egal in welcher Konstellation.

Sie haben viel Kritik eingesteckt für Ihr Agieren beim Mauergedenken.

Die Kritik ist verebbt, nachdem ich einen ersten Entwurf für ein Mauerkonzept vorgelegt habe. Der Senat hat auf dieser Grundlage bereits weit reichende Beschlüsse gefasst und sich mein Konzept in den Grundzügen zu eigen gemacht. Jetzt stimmen wir uns mit dem Bund und anderen Partnern ab, um es zum Sommer dem Abgeordnetenhaus vorzulegen. Ich habe mit dem neuen Staatsminister für Kultur, Neumann, über das Konzept gesprochen. Ein entscheidender Punkt ist die Erweiterung der Gedenkstätte an der Bernauer Straße. Das hat der Bundestag beschlossen. Wir haben den Berliner Anteil für die Gedenkstätte in den Haushalt eingestellt und verhandeln jetzt mit dem Bund darüber, dass er seinen Anteil erbringt und wir die Gedenkstätte erweitern können. Außerdem können wir mit dem privaten Eigentümer einiger Teilstücke über einen Rückkauf von Grundstücken verhandeln.

Wer bezahlt dafür?

Zunächst Berlin. Aber da das Mauergedenken an der Bernauer Straße eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, müssen es Bund und Land zusammen übernehmen.

Kritiker haben Ihnen vorgeworfen, dass Sie beim Mauerkonzept und dem Umgang mit dem Checkpoint Charlie Zeit verstreichen ließen.

Ich weise das zurück. Das ist grundfalsch – sowohl im Hinblick auf die Komplexität der Probleme als auch auf mein Engagement. Zugespitzt: Die Vorwürfe waren und sind stets nur eine Kompensation der eigenen Versäumnisse. Wir haben am Checkpoint Charlie heute keine Mauerbrache, sondern eine Investitionsbrache der großen Koalition zu besichtigen. Jetzt haben wir es mit einer Bank zu tun, die die Schulden des Investments dort aufgekauft hat. Sie ist nicht bereit, mit dem Land Berlin zu kooperieren. Ich habe angeboten, aus öffentlichen Mitteln dort einen Bauzaun zu finanzieren, um die angekündigte Fotoausstellung anzubringen. Aber die Bank versteht nicht, dass sie ihr Investitionsprojekt nur in einer geordneten Umgebung entwickeln kann, aber nicht in einer ideologisch aufgeheizten Situation. Es ist alles fertig.

Wie könnte es dort weitergehen?

Ich will dort bis zur Fußball-WM ein öffentliches Informationsangebot, entweder zusammen mit dem Eigentümer oder auf öffentlichem Straßenland. Die anspruchsvolleren Themen sind die Erweiterung der Gedenkstätte an der Bernauer Straße und die Gestaltung eines Ortes der Information am Brandenburger Tor, der ehemalige Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstraße und die Eastside-Gallery.

Wird Ihr Engagement in West-Berlin gewürdigt? Oder sind Sie dort der Verfechter des Palastes der Republik, der ehemalige SED-Kulturpolitiker, der die Ost-Berliner Fahne hochhält?

Ich glaube, dass ich ein besonderes Verständnis für die immer wieder aktualisierbare Sorge vor dem Bedeutungsverlust des früheren West-Berlin habe. Wir im Osten sind ein Scheitern voraus, wie Heiner Müller mal sagte. Ich sage sehr selbstbewusst, dass ohne mich das Universitätsklinikum Benjamin Franklin, das Studentendorf Schlachtensee und die Deutsche Oper heute nicht mehr so existieren würden. Aber das ist keine persönliche Geschichte, sondern Teil eines politischen Prozesses. Es sind diese gegenläufigen Perspektiven, die Berlin heute reich machen.

Bei anderen Streitigkeiten hat man den Eindruck, Sie wollten etwas für die geschundene Ost-Seele tun: beim Rosa-Luxemburg-Denkmal, bei der Verabschiedung der Ost-Wissenschaftler, die zum Streit mit dem Regierenden Bürgermeister führte, beim Liebknecht-Denkmal am Potsdamer Platz. Verstehen die Westler Sie weniger gut als umgekehrt Sie die Westler?

Umgekehrt wäre es schlimmer! Der Wettbewerb für das „Denkzeichen“ für Rosa Luxemburg ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben und keineswegs ein Ostberliner Anliegen allein.

Und der leere Sockel am Potsdamer Platz?

Der Sockel erinnert an ein historisches Ereignis, als Liebknecht im Ersten Weltkrieg gegen den Ersten Weltkrieg demonstrierte. Dafür wurde er eingesperrt. Die DDR wollte daran erinnern, hat einen Sockel aufgestellt, aber nie eine Plastik zustande gebracht. Dann holte der Mauerbau das Denkmal ein – es stand im Niemandsland. Beim Neubau des Potsdamer Platzes wurde es abgeräumt. Auf Initiative des Bezirksamtes Mitte ist der Sockel wieder aufgestellt worden. Das ist also kein Liebknecht-Denkmal – es vermittelt die Brüche der Geschichte, vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Der Denkmalsockel ist so gut, weil er das Denkmal-Thema selbst thematisiert: Mit dem interessanten Effekt, dass die Konservativen gesagt haben: schon wieder Liebknecht! Und die radikale Linke fragte: Wo ist eigentlich Liebknecht? Es bringt die Leute zum Nachdenken.

Das Interview führten Werner van Bebber und Lars von Törne.

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