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Egon Krenz bei der Vorstellung seines neuen Buches "Wir und die Russen" in Berlin.

© Tobias Schwarz/AFP

Egon Krenz über den Mauerfall: „Ich hatte in der Nacht, das sage ich ganz ehrlich, Angst“

Der letzte SED-Staatsratsvorsitzende der DDR stellt sein neues Buch vor. Gut gelaunt – und in seiner Sicht auf die Bundesrepublik nicht altersmilde geworden.

Von Barbara Nolte

„Ich dachte, es sind nur ein paar Hanseln da, und jetzt das!“, sagt eine Frau belustigt, als sie sich im Saal des Russischen Hauses der Wissenschaft und Kultur an der Friedrichstraße umschaut, wo Egon Krenz am Donnerstagabend sein neues Buch vorstellte. Sie war 12, erzählt sie, als sie Krenz bei einem Pionier-Geburtstag noch mit Walter Ulbricht kennenlernte.

Jetzt, ein halbes Jahrhundert später, steht Krenz gut gelaunt mitten im Trubel. Er posiert für Selfies, bekommt den Rücken getätschelt und führt den Vertreter der russischen Botschaft zum reservierten Platz in Reihe eins. Dabei wird er von Kameras umringt.

Außer seiner großenteils weißhaarig gewordenen Kern-Anhängerschaft sind diesmal viele Journalisten gekommen. Die Buch-Vorstellung bildet gewissermaßen die Auftaktveranstaltung zum 30-jährigen Jubiläum der Wende, bei der Krenz als letzter SED-Staatsratsvorsitzender der DDR einer der Hauptakteure war.

Egon Krenz fokussiert sich in seinem Buch auf die Beziehungen zwischen Ost-Berlin und Moskau, die den Verlauf des Herbstes '89 mitbestimmten. Titel: „Wir und die Russen“. Er steigt auf die Bühne empor, um daraus zu lesen. Zeitungen haben das Buch als Abrechnung mit Gorbatschow bezeichnet. Deshalb stellt Krenz zu Beginn klar: „Ohne die Freundschaft zur Sowjetunion, hätten wir keine 40 Jahre DDR erlebt.“ Applaus brandet auf. Für die meisten hier ist das Wende-Jubiläum kein Freudenfest.

Krenz beginnt mit Szenen aus seiner Kindheit: ein sowjetischer Offizier, der ihm Goethes Lied "Heideröslein" beigebracht hat, ein Stalin-Plakat, auf dem stand: „Die Hitler kommen und gehen, der deutsche Staat bleibt.“

„Wer diese Worte zitiert, muss nicht unbedingt Stalinist sein“, sagt er. Krenz, so viel wird schnell klar, hegte große Bewunderung für die Sowjetunion. So war es wohl das Trauma seines Lebens, als das Land unter Gorbatschow die DDR und ihn persönlich fallen ließ.

„Ich bitte euch, wir waren der treueste Bündnispartner!“

Er berichtet, dass ihm der ehemalige Außenminister Eduard Schewardnadse in den 90er Jahren gestanden hätte, dass sie damals zuvorderst die Sowjetunion retten wollten. Dazu hätten sie allen Ballast abwerfen müssen. Der Satz sei ein „Haken“ gewesen, so Krenz, der ihn fast zu Boden geworfen hätte. Mit Ballast war die DDR gemeint. „Ich bitte euch, wir waren der treueste Bündnispartner!“

Egon Krenz‘ Stimme ist durchdringend wie früher. Mittlerweile 82 Jahre alt, kann er es, was das Vorlesen angeht, mit dem berühmten Durchhaltevermögen von Fidel Castro aufnehmen. „Wollen wir mal eine Pause machen, um ein bisschen durchatmen zu können?“, unterbricht ihn sein Verleger Frank Schumann von der Edition Ost nach einer Stunde, um zur Fragerunde überzuleiten.

Dabei kommt Krenz schließlich doch noch auf das Thema Wende zu sprechen. „Ich habe den 9. November bis 0.30 in meinem Büro verbracht“, erzählt er. „Ich hatte in der Nacht, das sage ich ganz ehrlich, Angst. Stellt euch mal vor, es wäre in dieser emotionsgeladenen Zeit auch nur einer zu Tode getrampelt worden. Das wäre schrecklich gewesen! Während die Politiker in West-Berlin meinten, sie feierten ein Volksfest, mussten wir im Osten ganz schön rackern, damit die Sache vernünftig verläuft.“ 

Krenz ist in seiner Sicht auf die Bundesrepublik nicht altersmilde geworden.

Nach der Lesung arbeitet er sich durch viele zum Gruß ausgestreckten Hände Richtung Foyer: Bücher signieren. Schnell bildet sich eine Schlange, die nicht kürzer zu werden scheint. Dabei ist der Büchertisch im Russischen Haus längst leergekauft.

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