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Berlin: „Ich muss unter Leute“

Wie sich der Fahrer des entführten Busses am Tag danach fühlt

Auf der Anrichte stehen Blumensträuße. Mario G. sitzt in blauen Jogginghosen auf dem grünen Ledersofa in seiner Dreizimmerwohnung eines Lichtenrader Hochhauses. Eigentlich sieht das alles ganz bequem aus. Doch dann fällt auf, wie blass er ist. Mario G., ein spindeldürrer Mann, krümmt sich leicht nach vorne, wenn er spricht. Unter seinen Augen liegen dunkle Schatten. Als habe er die ganze Nacht durchwacht.

„Ich? Ich war so erschöpft, dass ich sofort eingeschlafen bin“, sagt er. Keine Träume. Diesmal nicht.

Am Vortag hat er einen wahren Albtraum erlebt. Mario G. ist der Fahrer des Busses, den der Bankräuber Dieter W. am Freitagmorgen in seine Gewalt gebracht hat. Eine Stunde Todesangst durchlitt Mario G. als Geisel. Doch als die Polizei den entführten Bus am Sachsendamm gestoppt hatte, gelang ihm die Flucht durchs Fenster.

„Ich wollte nach der Befreiung nur noch nach Hause“, sagt er. Dort, wo seine Frau Heike und seine beiden Söhne Tobias (4) und Lars (1) bereits auf ihn warteten. „Gestern, das war so, als feierte ich noch einmal Geburtstag.“ Erst Mittwoch ist er 39 Jahre alt geworden.

„Schlecht vor Angst war mir, und ich hätte heulen können“, erinnert sich der Busfahrer am Tag nach der Geiselnahme. „Das habe ich dem Entführer auch so gesagt.“ Neben ihm auf dem Sofa sitzt Gerhard Schlag und nickt. Er ist Personalratsvorsitzender der BVG. Einen der Blumensträuße und eine Flasche Sekt hat er mitgebracht. Dazu noch ein Faltblatt: Von der Sozialberatung der BVG. „Wenn er psychologische Hilfe braucht, kann er dort hingehen“, sagt Schlag. Dort werden auch die U-Bahnfahrer betreut, denen ein Selbstmörder vor den Zug gesprungen ist. Für die nächste Zeit sei der Kollege erst einmal befreit vom Dienst. „Der soll sich erholen von dem Schock und Montag zum Arzt gehen.“ Mario G. erzählt, sein Rücken schmerze noch von der Flucht, weil ein Beamter des Spezialeinsatzkommandos (SEK) ihn aus dem Fenster gezerrt hatte. Aber das sei das geringste Problem. „Der Polizei bin ich wahnsinnig dankbar.“ Und der BVG-Leitstelle. „Ich war froh, dass ich während der Irrfahrt Kontakt zu den Kollegen hatte. Das hat mir sehr geholfen, weil ich mich nicht ganz so hilflos gefühlt habe.“

Und dennoch – trotz seiner Todesangst – habe er das Gespräch mit dem Entführer gesucht, ihn sogar gefragt, wie er sich fühle in so einer Situation. „Mies“, habe der geantwortet und daraufhin mehrmals laut „Scheiße“ gerufen. Als am Ende nur noch er, die Polizistin und der Journalist im Bus waren, „haben die Frau und ich sogar eine Zigarette geraucht“, sagt Mario G. „Der Täter ist Nichtraucher, hatte aber nichts dagegen, dass wir uns eine angezündet haben.“

Mario G. erzählt, dass ihm heute erst klar geworden sei, mit was für einen Schwerverbrecher er es zu tun hatte. „Ich hab’ mir morgens die Tageszeitungen besorgt. Das war schockierend zu lesen, was der schon alles verbrochen hat.“ Aber seine beiden Kinder, sagt er, die lenken ihn ab. Heute will er mit ihnen zur „Sesamstraßen-Ausstellung“ am Ostbahnhof. „Ich muss unter Leute.“ Seine Kinder, die brauchen ihn. Von seinem Albtraum wissen sie Gott sei Dank nichts.

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