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Berlin: „Ich war ein Kehlkopfknecht“

Marianne Rosenberg hat ihre alten Hits neu aufgenommen. Dabei wollte sie einst von den Titeln nichts mehr hören und lieber Autonomen-Songs spielen

Ihr neues Album vereint deutsche Songs aus 30 Jahren – ein Beitrag zur aktuellen Debatte um eine deutsche Musikquote?

Na ja. Das per Gesetz verordnen zu wollen finde ich falsch. Aber die aktuelle Diskussion sollte dazu beitragen, dass die Rundfunkmacher sich fragen, ob das alles so richtig läuft. Es geht ja nicht nur um deutsche Musik, sondern auch um Musik aus anderen Ländern, die bei uns viel zu wenig zu hören ist. Stattdessen wird auf fast allen Sendern das gleiche gespielt – das ist genauso schlimm, als würde man nur deutsche Musik verordnen.

Hören Sie privat viel deutsche Musik?

Nicht nur. Aber ich liebe die deutsche Sprache, und es gibt Künstler, die damit wunderbar umgehen. Wie die Scherben damals…

…die Band „Ton Steine Scherben“…

Ja, die haben die deutsche Musik revolutioniert. Und sie waren für mich persönlich sehr wichtig: Ohne Rio Reiser hätte ich wahrscheinlich nie ein einziges Lied geschrieben. Das war Anfang der 80er Jahre, als ich die Nase voll hatte von der Musik, die ich vorher gemacht hatte. Ich hatte genug von meinem Image. Also habe ich nach neuen Ausdrucksformen gesucht. Da habe ich Ton Steine Scherben entdeckt. Ich dachte: Das ist etwas ganz anderes, wie die mit Worten umgehen. Ich wollte diesen Mann, der solche Texte schreibt, unbedingt kennen lernen.

Die „Scherben“ waren doch in den 80ern die Helden der Hausbesetzerszene…

Ja, damals habe ich mich sehr mit den Autonomen identifiziert, bin auf Demos gegangen, war viel in besetzten Häusern und so.

Und da tauchte Rio Reiser auf…

Nein, der hatte sich damals mit seiner Band und der ganzen Kommune, die da dran hing, schon aufs Land zurückgezogen. Die haben in Fresenhagen, in Norddeutschland, Projekte mit Fürsorgezöglingen aus Heimen gemacht. Und die haben immer Marianne Rosenberg rauf und runter gehört, wie mir Rio erzählte. Die sang er mir dann schelmisch vor.

Rio Reiser – ein Rosenberg-Fan?

Ja, er hatte Lieblingssongs aus meinem Repertoire, und ich kannte alle seine Lieder. Wir sind uns begegnet wie aus zwei fremden Welten: Er wollte Musik für mehr Leute als nur für die politischen Anhänger machen. Er wollte richtig viel Platten verkaufen und auf die Seite, wo ich herkam. Und ich wollte nicht mehr fremdbestimmt sein, sondern in einer Kommune arbeiten, ohne Management und so.

Den Song „Für immer und dich“ hat er doch für Sie geschrieben, oder?

Ja. Das muss so 1984 gewesen sein. Da hat er mir eine Kassette mit neuen Kompositionen von sich gegeben, die ich singen sollte, da war auch das Stück drauf. Aber ich habe gesagt: Nein, von Liebe will ich nicht singen. Das ist für vorbei. Deswegen habe ich eher so Revoluzzersongs aufgenommen, die auch auf der Kassette waren. Also hat er das Lied selbst gesungen. Es wurde ein großer Hit.

Und Ihre Revoluzzersongs?

Nicht sehr erfolgreich. Ich liebte es sehr, aufzunehmen, was mir passte. Aber veröffentlichen wollte das keiner.

Wieder das Problem mit dem Image?

Ja. Geschäftlich betrachtet habe ich mich in jenen Jahren sehr weit herausgebracht. Aber menschlich habe ich mich damals gerettet. Aber konnte einfach nicht ewig die Marionette sein, die als Kehlkopfknecht immer das erfüllt, was andere erwarten.

Umso überraschender, dass Sie jetzt auf Ihrer neuen CD die alten Lieder wieder aufgenommen haben…

Ja. Ich bin nicht wirklich entkommen. Aber ich fühle mich viel freier als früher. Vielleicht habe ich mich mit meiner Vergangenheit ausgesöhnt. Jetzt habe ich sie angenommen. Etwas anderes würde das Publikum auch nicht mitmachen. Das habe ich kürzlich auch bei meinem Programm mit Berliner Liedern und Jazz-Songs gemerkt: Nach der Show standen da Leute auf und sangen: „Ich bin wie Du“. Da stand ich nun, sang es mit und dachte: Egal, wie viele Jahre das her ist, das bin ich eben für die auch.

Weshalb auch nicht?

Ja, wenn ich in ein Konzert von Barry White gehe, wünsche ich mir doch auch, dass er „The first, the last…“ singt, und zwar jeden Ton genau so wie früher, und zwar nur, weil mich das an meine Vergangenheit erinnert. Wieso soll ich das den Leuten verweigern? Ich würde es bloß in der Form von früher nicht wieder machen. Deswegen haben wir die alten Songs ja neu produziert…

…unter anderem mit Cher-Produzent Brian Rawling. Ist Cher ein Vorbild für Sie? Auf ihrem Cover sehen Sie ihr sogar ein wenig ähnlich…

Künstlerisch ist sie schon ein Vorbild, aber optisch? Hoffentlich nicht. Sonst müsste ich ja den schrecklichen Weg gehen, den sie gegangen ist. Mich unters Messer legen? Nein. Es ist schwer, in dieser Gesellschaft zu altern, aber einen noch größeren Horror hätte ich vor so einer Operation.

Wo wir gerade bei den Äußerlichkeiten sind: Sie sind auffallend blond.

Ich bin mein Leben lang in schwarz gegangen. Jetzt mag ich es leichter und heller, mit weniger Schminke. Es soll mehr die Frau zu sehen sei als die Kostümierung.

Das Gespräch führte Lars von Törne.

Am 5.11. tritt Marianne Rosenberg im Tempodrom auf. Ihre neue Platte mit 15 Songs aus ihrer 30-jährigen Karriere heißt „Für immer wie heute“.

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