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Berlin: „Ich war und bin ein Querkopf“

Hansjürgen Karge sagt schonungslos, was er denkt. Unvorsichtig und ruppig, wie er ist, eckte der Generalstaatsanwalt beim Landgericht seit seinem Amtsantritt 1995 häufig an.

Hansjürgen Karge sagt schonungslos, was er denkt. Unvorsichtig und ruppig, wie er ist, eckte der Generalstaatsanwalt beim Landgericht seit seinem Amtsantritt 1995 häufig an. Beobachter sagen, er könne die Staatsanwaltschaft organisieren, aber nicht führen. Er habe nicht die Gabe, mit Schwächen anderer umzugehen und die Dinge klimatisch wieder einzurenken, wenn er sich vergaloppiere. Deshalb habe er weder bei seinen Staatsanwälten, Richtern und Strafverteidigern noch in der Politik Rückhalt. Und da ihn Justizsenatorin Karin Schubert nun loswerden will, betreibt der Senat seine Abwahl durch das Abgeordnetenhaus nach der Sommerpause.

Der Anlass hat mit den Ermittlungen gegen Verantwortliche der Bankgesellschaft zu tun. Karge meinte, man dürfe nicht zu viel von diesen Verfahren erwarten; es sei schwierig, Schuldige dingfest zu machen. Auch versetzte er den Ermittlungsleiter für einen Teilkomplex in Sachen Bankgesellschaft, ohne die Justizsenatorin zu informieren. Sie hält ihm vor, er habe Weisungen ignoriert und sich ohne Rücksprache öffentlich geäußert. Er kontert, sie habe ihm einen „Maulkorb“ verpassen und die Ermittlungen politisch beeinflussen wollen.

Karge ging der Ruf eines glänzenden Organisators voraus, als er Ende 1994 vom Abgeordnetenhaus gewählt wurde. Deshalb holte ihn die damalige Justizsentorin Lore Maria Peschel-Gutzeit. Er hatte 1990 bis 1993 die Justizbehörde im thüringischen Suhl aufgebaut und war dann leitender Oberstaatsanwalt im hessischen Marburg. Doch bald fiel er in Berlin mit strammen Sprüchen auf, ein SPD-Mann mit konservativen justizpolitischen Vorstellungen. Er forderte mehr und schnellere Verhaftungen, härtere Strafen und „altpreußischen Gehorsam“. Manche Staatsanwälte fand er verwöhnt, egoistisch und jammernd. „Ich war und bin ein Querkopf“, sagte er zu ersten Irritationen.

So brachte er Richter, Strafverteidiger und die eigene Behörde gegen sich auf. Ihre Leute seien weder faul noch Jammerlappen, bekundeten die Hauptabteilungsleiter der Staatsanwaltschaft. Die Grünen-Rechtsexpertin Renate Künast, heute Bundesministerin, und die Vereinigung der Strafverteidiger forderten bereits 1997 seine Ablösung. Karge hatte sich gegen einen „Sachverständigenzirkus“ ausgesprochen und die Justiz mit einem Fußballspiel verglichen: „Objektive Regelverstöße müssen zu Sanktionen führen. Das ist überall so, von den primitivsten Buschnegern bis zu den Tieren.“ Im Tagesspiegel-Interview sagte er 1998: „Die Mehrheit der Bevölkerung will nicht, dass wir weniger bestrafen. Die Mehrheit der Bevölkerung will, dass wir ordentlich bestrafen und kräftig.“

Die Ablehnung des Schuldprinzips wurde ihm vorgeworfen, ein naives, populistisches Weltbild und gar Stammtischphilosophie. Zwei Strafverteidiger zeigten Karge wegen Beleidigung und übler Nachrede an; einer war der jetzige Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Grüne). Die Ermittlungen gegen Karge wurden eingestellt. Doch Senatorin Peschel-Gutzeit ermahnte ihn, seine „undifferenzierten Äußerungen“ zu unterlassen. Auch Dieter Neumann, der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht, zeigte sich „tief betrübt über den Schlamassel.“ Beider Verhältnis gilt als gespannt.

Neumann ist als oberster Staatsanwalt der Vorgesetzte von Karge, dem Behördenleiter der Staatsanwaltschaft beim Landgericht. Kein Zweifel, dass die Staatsanwaltschaft politisch weisungsgebunden ist. Doch das ist ein weites Feld. Die Justizsenatorin kann auch Ermittlungen anordnen. Das bezieht sich natürlich nicht auf Einzelheiten des unabhängigen Verfahrens. Überhaupt machen kluge Justizsenatoren von Weisungen nur äußerst zurückhaltend Gebrauch. Der Grat ist schmal. Im Fall Karge stürzte das Vertrauensverhältnis ab. Brigitte Grunert

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