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Ein Traum für Fensterputzer. Und sie hätten noch viel mehr zu tun. Denn viele Scheiben sind gar nicht eingebaut worden, weil das Dach ja verkürzt worden ist.

© Thilo Rückeis

Idee aus dem Bundestag: Glasscheiben vom Hauptbahnhof sollen nach Bayern

Der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses hat vorgeschlagen, die nicht benötigten Scheiben an einem Bahnhof am Bodensee einzubauen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Berliner Gebäudeteile zweitverwertet werden - erinnert sei nur an den Palast der Republik.

Irgendwann mussten die Begehrlichkeiten wach werden. Die speziell gefertigten, nie eingebauten Glasscheiben, die zur Langversion des Berliner Hauptbahnhofs gehörten, liegen irgendwo herum, sie kosten Geld und werden niemals ihrem ursprünglichen Zweck dienen. Warum also nicht irgendwo in der Republik einen kleinen Bahnhof eigens für sie bauen? 

Martin Burkert (SPD), der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, hat nun vorgeschlagen, genau dies in Lindau am Bodensee zu tun, weil dort exakt die gleiche Gleiskrümmung vorliege. Allerdings gibt es für Lindaus neuen Bahnhof nur einen Grundsatzbeschluss. Und ob der Architekt, der dort eines Tages zum Zuge kommt, ausgerechnet die Berliner Scheiben haben will? Deren am Berliner Bahnhof eingebaute Schwestern gerade seltsame Risse bekommen?

Kurz: Es riecht ein wenig nach Sommerloch, das ein transparentes Dach immer gut gebrauchen kann. Dennoch steckt in der Initiative natürlich die zutreffende Vorstellung von der Hauptstadt, die mehr mit dem Werden als mit dem Sein beschäftigt ist und deshalb immer irgendwelches Zeug übrig hat für sich selbst und den Rest der Republik. Beispielhaft dafür ist der Umgang mit den Holzpfählen aus dem Untergrund des Stadtschlosses, die vor gut einem Jahr in kleinen Happen versteigert wurden – wir warten nun darauf, dass das Land mit gut gereiften Schmuckstücken oder Möbeln aus diesem Holz überzogen wird, möglicherweise gibt es das längst. Insofern teilen diese Pfähle irgendwann das Schicksal der Original- Mauer, deren Bruchstücke, Krümel und Staubspuren im Touristengepäck längst so fein über die Welt verteilt sind, dass man an die Kokain-Reste denken darf, die an jedem Geldschein der Welt haften.

Auffällig unauffällig. Was hier Autos vor dem Regen schützt, war einst die Überdachung der Grenzkontrollanlagen an der Bornholmer Straße.
Auffällig unauffällig. Was hier Autos vor dem Regen schützt, war einst die Überdachung der Grenzkontrollanlagen an der Bornholmer Straße.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die meisten Beispiele für geglücktes Berlin-Recycling betreffen Material des 20. Jahrhunderts, bedienen aber keineswegs nur die billige Ostalgie. Denn die Brücke, die einst über die Heerstraße in Staaken geschlagen wurde - die hatte Bausenator Harry Ristock eigens in der Tauentzienstraße abmontieren lassen und seinem Wahlkreis einverleibt. Als multifunktioneller erwies sich allerdings der Palast der Republik, ein wahres Baustofflager, dessen Einzelteile in der ganzen Welt weiterleben – der Arbeiter- und Bauern-Stahl erwies sich als so dauerhaft, dass er nun den 800 Meter hohen Burj Khalifa in Dubai tragen darf, der geschredderte Granit der Eingangsstufen ist eine ideale Unterlage für die Skateboarder auf dem Tempelhofer Feld. Und die Lampen aus Erichs Lampenladen hängen wer weiß wo.

Das Grenzübergang-Dach am Supermarkt

Dass diese Art des Recyclings systemübergreifend funktioniert, zeigt sich, wenn spezialisierte Designer wie die Leute von „KStar“ an die Sache herangehen. Das von ihnen gestaltete Restaurant „Ø“ am Mehringdamm enthält nach eigener Darstellung „eine Metalldecke aus dem Klub des Café Moskau, das molekulare Lampensystem des Bauministeriums der DDR, Tapeten aus Abrisshäusern, Wandlampen aus dem Babylon-Kino, Treppengeländer aus der alten Staatsoper und Eiermann-Stühle aus dem Bikini-Gebäude am Zoo“. Würden alle Bauherren so verfahren, wäre es vermutlich möglich, Berlin aus sich selbst heraus immer wieder zu erneuern.

Zweitverwertung. Der „Plattenpalast“ in Prenzlauer Berg ist aus Palast- der-Republik-Resten gebaut.
Zweitverwertung. Der „Plattenpalast“ in Prenzlauer Berg ist aus Palast- der-Republik-Resten gebaut.

© DSK

Vorerst muss uns als theoretische Fundierung genügen, dass die „Ø“-Designer mit ihrer Arbeit ein Symbol der Tatsache sehen, dass der „städtebauliche Anspruch von Ordnung und Gelecktheit“ an Berlin abperle. Der Wildwuchs der Stile in einem Raum bilde „jene geheimnisvolle Berlin-Melange als urban kreierte Geologie“.

Und dann war da ja noch der Kaisersaal am Potsdamer Platz

Man muss ja nicht immer nach der extrem aufwendigen Kaisersaal-Methode verfahren und erhaltenswerte Gebäudeteile am Stück durch die Gegend schieben. In den Hirschhöfen in Prenzlauer Berg zum Beispiel wurden Bordüren aus dem Stadtschloss im Boden versenkt. Die Vorzüge der Melange kommen zudem nicht nur Palästen, sondern auch Hütten zugute, sofern diese einen Hauch historischer Patina aufweisen wie das olle Wellblechdach vom Grenzübergang Bornholmer Straße, das eine Zweitverwendung über dem Fahrradabstellplatz eines Supermarktes fand.

All diese Beispiele zeigen deutlich: Berlin ist keineswegs in der Lage, die Restbestände seiner Häutungen zum Schnäppchenpreis an Deutschland und die Welt abzugeben, weil es zu sehr damit beschäftigt ist, seine eigene urbane Geologie zu kreieren. Deshalb sei hier die Prognose gewagt, dass nie, nie eine Berliner Bahnhofsglasscheibe den Haltepunkt Lindau-Reutin decken wird. Eher verschenkt die Stadt diese Reste an den einstigen Bauherren Hartmut Mehdorn, wenn der sich mal zur Ruhe setzt. Er kann sich dann beispielsweise einen hübschen kleinen Wintergarten draus bauen. Mit originaler Gleiskrümmung, und ganz ohne Ansprüche an Ordnung und Gelecktheit.

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