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Das Rote Rathaus bräuchte einen Platz, der dieses Attribut verdient. Tchoban hat ihn gezeichnet - von Kolonnaden eingerahmt.

© Simulation: Sergej Tchoban

Ideen für den Rathausplatz: Gebt dem Berliner Zentrum ein Gesicht

Ein lebendiges Stadtquartier vor dem Roten Rathaus zu errichten, ist keine Kunst. Die Politik muss es nur wollen. Architekturkritiker Falk Jaeger plädiert für eine vollkommen neu bebaute Altstadt. Was halten Sie von seinem Vorschlag, liebe Leserinnen, liebe Leser? Diskutieren Sie mit!

Das Gerede von Berlin, das ständig im Umbruch und immer am Werden sei, führt nicht weiter, es ist ein belangloses Bonmot von gestern. Wer sich heute in der Welt umsieht, in Tokio, Sao Paulo oder Mombasa, wo sich die Städte im Zehnjahresrhythmus häuten, kann darüber nur lächeln. Berlin braucht aber gar keine Umbrüche, keine neue Gründerzeit, keinen neuen Speer, kein Tabula rasa à la Scharoun und auch keine Zaha Hadid. Nicht einmal einen Schinkel mit seinem offenen, die mittelalterlich geprägte Stadt konterkarierenden Städtebau. Denn Berlin gehört bereits zu den attraktivsten und am besten funktionierenden Metropolen und wird von den Megastädten darum beneidet. Wer glaubt, Berlin müsse mit Megaprojekten den anderen Metropolen hinterherhecheln, lässt sich von einer Art Fortschritt blenden, der der Finanzwirtschaft dient, nicht aber dem Stadtbürger.

Es gilt, den Blick zu schärfen für die enormen Qualitäten dieser Stadt und diese zu bewahren, zu fördern und weiterzuentwickeln. Wer in Charlottenburg Hochhäuser fordert, der hat genau diesen Blick verloren. „Blinder Fortschrittsglaube“, der in den sechziger Jahren geprägte Begriff, ist hier angebracht. Man könnte es mit einem extremen Beispiel illustrieren: Warum ist es abwegig, in Venedig Hochhäuser zu bauen? Der Grund ist jedermann einsichtig.

Die Berliner Innenstadtquartiere sind zwar nicht Hinterlassenschaft vieler Jahrhunderte höchster Baukultur wie die Venedigs, aber sie sind von schützenswertem Reiz und urbaner Lebendigkeit, weil sie Aktionsfelder und Erlebnisqualitäten bieten. Das hat vor allem mit der Maßstäblichkeit zu tun, sowohl der Nutzungsstrukturen als auch der architektonischen Ausprägung. Eine Maßstäblichkeit, historisch gewachsen, die bis zu den Kriegszerstörungen und späteren Abrisskampagnen Bestand hatte. Die noch bis in die Gegenwart virtuell besteht – als Parzellengrenzen in den Akten der Grundbuchämter.

So könnte der Platz vor dem Roten Rathaus von oben aussehen.
So könnte der Platz vor dem Roten Rathaus von oben aussehen.

© Simulation: Sergej Tchoban

Es war der ehemalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann, der sich große Verdienste erworben hat, indem er die Rekonstruktion des historischen Straßenrasters in den vom 19. Jahrhundert geprägten Stadtvierteln betrieb. Meist wurde jedoch der Fehler begangen, die Zusammenlegung vieler Parzellen und die Bebauung ganzer Häuserblocks durch jeweils einen einzigen Investor nicht zu verhindern. So konnte die Friedrichstraße ihr vielfach heraufbeschworenes Fluidum der zwanziger Jahre nicht wiedergewinnen, das von einer unglaublichen Vielfalt, Kleinteiligkeit und Dichte geprägt war. Es war Dieter Hoffmann-Axthelm, der deshalb aus gutem Grund eindringlich auch die Tradierung der historischen Parzellenstruktur einforderte. Man sollte mehr auf ihn hören. Das würde eine entsprechende Bauleitplanung, vor allem aber eine rigide, nicht auf Ertragsmaximierung fokussierte Regelung der Grundstücksvergabe bedingen. Ob dafür die Steuerungsinstrumente zur Verfügung stehen, ist die Frage. Denn potente Investoren, die sich altruistisch solche Ziele auf die Fahnen schreiben, gibt es nicht. Man muss sie zu stadtverträglichem Handeln zwingen.

Berlins alte Mitte - ein Rathausplatz mit Kolonnaden und Gassen. Was halten Sie von dem Vorschlag? Diskutieren Sie mit, liebe Leserin, lieber Leser! Nutzen Sie dafür ganz einfach, die leicht zu bedienende Kommentarfunktion weiter unten auf der Seite.

Wie urbanes Leben räumlich organisiert wird wurde verlernt

Neue Sichtachsen und eine klein parzellierte Bebauung könnten Berlins Mitte zwischen Fernsehturm, Rotem Rathaus und Marienkirche ein Gesicht verleihen, sagt Architekturhistoriker Falk Jaeger.
Neue Sichtachsen und eine klein parzellierte Bebauung könnten Berlins Mitte zwischen Fernsehturm, Rotem Rathaus und Marienkirche ein Gesicht verleihen, sagt Architekturhistoriker Falk Jaeger.

© Simulation: Sergej Tchoban

Vielleicht aber besteht die Chance, solche Planungsziele bei der Neugestaltung der historischen Mitte Berlins auf dem heutigen Marx-Engels-Forum durchzusetzen. Hier sollte es möglich sein, die Fehler der vergangenen zwei Jahrzehnte zu vermeiden. Wenn Senatsbaudirektorin Regula Lüscher sich auf dem „Rathausforum“ – so nennt sie den Ort – umschaut und von der einmaligen städtebaulichen Situation schwärmt, die ein großes Potenzial habe, so ist diese Euphorie kaum nachvollziehbar. Auf groteske Weise einsam steht die Marienkirche, die eigentlich einer Umbauung bedarf, schräg, weil mittelalterlich geostet, im Gelände. „Die freigestellte Kirche ist Geschichte“, sagt Lüscher. Aber muss eine unbefriedigende Situation so bleiben, weil sie Geschichte ist? Ein Repräsentationsbau von der Statur des roten Rathauses benötigt ein Vorfeld, aber hier herrscht ringsum gähnende Leere. Zu einem ordentlichen Park hat es auch nie gereicht. Der wäre sicherlich allgemein akzeptiert, Grün ist immer beliebt, aber wer sollte ihn bezahlen? Zudem haben die Plattenbauten beiderseits des Rathauses und gegenüber entlang der Karl-Liebknecht-Straße als Platzwand der großen Freifläche nicht die wünschenswerte Qualität. Das von Graft vorgeschlagene Hafenbecken oder ein „Central Park“ wären Attraktion und Anlass, den Ort von Bebauung freizuhalten. Aber ein ausgedehnter Stadtplatz, wie er heute existiert, wird neben dem Schlossplatz nicht gebraucht.

Der weit verbreitete Wunsch, das Marx-Engels-Forum wieder zu bebauen, hat jedenfalls viel für sich. Hans Stimmann hat vorgeschlagen, einfach das historische Straßenmuster neu aufzuführen. Doch die letzte Konsequenz scheut er, denn die Gassen werden etwas breiter und gerader, der Rathausvorplatz etwas größer, und am Spreeufer gibt es ein „Marx-Engels-Plätzchen“; irgendwo soll das Denkmal hingeschoben werden, das heute namensgebend die Mitte des Forums besetzt. Die Frage ist, weshalb man nicht über Architektenwettbewerbe ein fantasievolles Zentrum mit einer Folge abwechslungsreicher Plätze und stadträumlicher Situationen ganz neu entwickeln lässt, anstatt das Quartier nach dem recht schematischen Vorkriegsgrundriss nur irgendwie aufzufüllen.

Seit Ur und Babylon wissen Architekten und Städtebauer, wie urbanes Leben räumlich organisiert wird, nur im zwanzigsten Jahrhundert haben sie es verlernt. Ein neues Stück Stadt mit einem eigenen Gesicht ist gefragt, das aber funktioniert wie eine historische Innenstadt. Interessanterweise ist nebenan das Nikolaiviertel zum Teil in diesem Sinn entstanden. Trotz prekärer architektonischer Ausbildung mancher Häuser gehört es zu den beliebteren und lebendigeren Quartieren im Bezirk. Ein ebenso dicht bebautes Quartier vom Fernsehturm bis zum Spreeufer würde mit erlebnisreichen Stadträumen, mit spannenden Perspektiven aufwarten. Wichtige Wegebeziehungen könnte man in Straßenräume fassen. Gegenüber dem Schloss, dessen Ostansicht aus Kostengründen auf eine monotone Lochfassade reduziert wird, könnte eine malerische Partie mit Stadtplatz und Wassertreppe das gestalterische Defizit des Humboldtforums ausgleichen.

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Traditioneller Städtebau und moderne Architektur sind keine Feind

Architekt Sergei Tchoban hat Jaegers Idee aufgegriffen und skizziert, wie die Gestaltung, von der Karl-Liebknecht-Straße aus gesehen, wirken könnte.
Architekt Sergei Tchoban hat Jaegers Idee aufgegriffen und skizziert, wie die Gestaltung, von der Karl-Liebknecht-Straße aus gesehen, wirken könnte.

© Simulation: Sergej Tchoban

Größtes Problem jeder Neuordnung des Marx-Engels-Forums ist die expressive, ausladende Fußbebauung des Fernsehturms, die zu ihrer Entfaltung das offene Terrain benötigt. Will man auf sie verzichten, würde der Zugang zum Turm wie bisher von der Gontardstraße her organisiert werden können. Bleibt sie bestehen, würde man sie in das Gassengeflecht einbeziehen müssen.

Vor der Marienkirche könnte der Neue Markt wieder erstehen, gen Süden und Osten würde man sie mit Bebauung umfangen. Vor dem Rathaus, gesäumt von kraftvollen Häusern, läge natürlich ein Rathausplatz, der diesen Namen verdient und der die richtigen Dimensionen hat. Der Platz selbst sollte einheitlicher gestaltet sein, denn er ist das Parterre des monumentalen, dominant axial geprägten Rathauses. Berühmte Platzanlagen des 18. und 19. Jahrhunderts mögen als Vorbilder dienen, die Plaza Mayor in Madrid, der Markusplatz in Venedig, oder die Piazza San Carlo in Turin. Auch Hans Kollhoffs Walter-Benjamin-Platz ist in diesem Zusammenhang von Interesse: Er hat Atmosphäre, wird von den Bürgern angenommen und ist mittlerweile ein lebendiger Stadtplatz.Es wäre wünschenswert, die das Areal in zwei Teile zerschneidende Spandauer Straße einzuengen, vielleicht, indem die Randbebauung bis an die Fahrstreifen heranrückt und für die Fußgänger Arkaden ausbildet.

Die Häuser des neuen Quartiers, als Einzelhäuser mit möglichst hochrechteckigen Formaten identifizierbar, sollten von unterschiedlichen Architekten gestaltet werden und insgesamt ein vielfältiges Straßenbild erzeugen. Dabei kommt es auf differenzierte Fassaden, plastische Relieftiefe und tektonische Kraft an.

Bei alldem geht es also nicht darum, auf Cöllner Boden wieder eine verloren gegangene Altstadt eins zu eins zu rekonstruieren. Es geht auch nicht um das historische Straßenraster, das auf diesem Gelände so gründlich getilgt wurde wie kaum sonst in der Kernstadt. Wo, wenn nicht auf diesem freien Feld in der Stadtmitte wäre es möglich das Experiment einer „neuen Altstadt“ zu wagen? Es geht um den kreativen Umgang mit dem städtebaulichen Prinzip, um traditionell bewährte Strukturen und um den menschlichen Maßstab.

Dass mit heutiger, zeitgenössischer Architektur kein attraktiver, ja schöner Städtebau zu haben sei, ist kein Naturgesetz. Die Rezepte sind durchaus bekannt. Es sind jedoch die Kräfte des Markts und die Produktionsbedingungen für Häuser als Investitionsobjekte, die dem entgegenstehen. Doch Marktmechanismen sind keine naturgegebene Gesetzmäßigkeit. Wir haben zwar nicht mehr den absolutistischen Bauherrn, der etwa den Bau einer Place Vendôme in Paris anordnete. Aber es bedarf eines starken politischen Willens, diese absolutistische Bauherrenschaft in unserem bürgerlich-demokratischen System gewissermaßen zu simulieren. Den Investoren zu Diensten sein ist der bequeme, bürgerfreundliche Strukturen durchzukämpfen der steinige, aber lohnenswerte Weg. Auf diese Weise könnte ein echtes Zentrum entstehen, mit einem Rathausplatz als Bürgerplatz, dem seine Kraft aus dem dichten Quartier ringsum zuwächst und der den Vergleich mit historischen Stadtplätzen anderer Metropolen nicht zu scheuen braucht.

Vielleicht lässt sich mit der Kombination aus traditionellem Städtebau und zeitgenössischer Architektursprache der Dauerzwist entschärfen, den Volker Hassemer eine „typische Berliner Krankheit“ nannte: die Querelen zwischen Traditionalisten und Modernisten. Der Neubau eines inneren Zentrums mit den historischen Werten der Europäischen Stadt und gleichzeitig zeitgenössischer, moderner Architektur wäre ein Novum, das international Beachtung fände.

Prof. Dr. Falk Jaeger ist Architekturhistoriker, -kritiker und Publizist in Berlin. Architekt Sergei Tchoban, Gestalter von Dom Aquarée und Cubix-Kino, hat für den Tagesspiegel dessen Idee vom zeitgemäßen Rathausplatz illustriert.

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