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Berlin: Im Deutschlandhaus wird umgeräumt

Am Askanischen Platz beginnt der Umbau des denkmalgeschützten Gebäudes für die Dauerausstellung zu Flucht und Vertreibung Der Ende der 20er Jahre errichtete Komplex und das benachbarte Europahaus haben eine bewegte Geschichte.

Jetzt zählt sie schon die Tage, an denen noch Pils aus dem Zapfhahn schäumt. Seit 35 Jahren steht Dorothea Bauer (68) am Tresen in ihrem Lokal „Zur Traube“ im Deutschlandhaus am Askanischen Platz. Über ihr, im sechs Meter hohen Kneipenhimmel, ist die Stuckdecke vom Zigarettendunst ergraut. Hinter ihr stehen die blanken Biergläser im Art-déco- Büfett. An den Wänden alte Ansichten vom Anhalter Bahnhof. Doch Ende des Monats muss auch Dorothea Bauer „als allerletzte raus“, wie sie sagt. Nebenan, im Café Stresemann, sind die Fenster schon mit Packpapier verklebt. Und die oberen Etagen, in denen die Landsmannschaften des Bundes der Vertriebenen seit 1965 ihre Büros hatten, stehen bereits seit einigen Jahren leer.

Das etwas staubig gewordene Deutschlandhaus an der Kreuzberger Stresemannstraße 90 wird vom kommenden Jahr an für 30 Millionen Euro saniert, umgebaut und erweitert. Drei Jahre sind für diese Arbeiten veranschlagt. Die mit rotem Sandstein verzierte, denkmalgeschützte expressionistische Fassade des von 1926 bis 1931 errichteten Gebäudes bleibt erhalten. Im Inneren entsteht ein lichtdurchfluteter moderner Museumsbau mit Foyer, Ausstellungshallen und Galeriesälen nach einem Entwurf der Vorarlberger Architekten Bernhard und Stefan Marte. Dafür wird auch der jetzige Innenhof überbaut. Ab 2016 soll dann die vom Bund geförderte „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ einziehen mit ihrem Dokumentationszentrum und einer neuen Dauerausstellung zu Flucht und Vertreibung in Europa.

Hinter dem verschlossenen Glasportal des alten Foyers zeigt der Bundesadler an der Wand seine Krallen. In den Fluren hängen noch Wappen der einstigen deutschen Ostgebiete. Großmächtig scheint die Erinnerung an die verlorene Heimat hinter Oder und Neiße. Jetzt richtet sich hier der Blick in die Zukunft. Vor zwei Wochen stellte Kulturstaatsminister Bernd Naumann das Konzept der künftigen Dauerausstellung vor. Sie soll auf 1700 Quadratmetern „die Ursachen, den Ablauf und die Folgen ethnischer Säuberungen“ im Europa des 20. Jahrhunderts darstellen, wobei die Flucht und spätere Integration der vertriebenen Deutschen in die Bundesrepublik den Schwerpunkt bildet. „Im Geiste der Versöhnung“ will man das alles aufarbeiten. Und dieses Vorhaben wird nach mancherlei Streitigkeiten inzwischen auch von den Vertriebenenverbänden unterstützt.

Der Ort der Ausstellung ist nah am Thema. Vom gegenüberliegenden Anhalter Bahnhof aus, der am 3. Februar 1945 bei Luftangriffen zerstört wurde, deportierte die SS jüdische Berliner nach Theresienstadt. Die erhaltene Ruine des Bahnhofsportals und die nahe Topographie des Terrors erinnern daran. Das bundeseigene Haus selbst wurde vom Kabinett unter Konrad Adenauer zur „nationalen Pflege der ostdeutschen Kultur“ bestimmt und den Heimatvertriebenen als Domizil übergeben. Zuvor beseitigte man Anfang der 60er Jahre die starken Bombenschäden. Nach dem Mauerbau war das vierstöckige Gebäude einer der ersten Anlaufpunkte für Flüchtlinge aus der DDR. 1974 bekam es den Namen, der bis heute verblichen an der Fassade steht. Und so soll es auch künftig heißen: Deutschlandhaus.

Zuvor wurde es meist in einem Atemzug genannt mit dem gleichfalls 1931 fertiggestellten Nachbargebäude an der Stresemannstraße 94: dem Europahaus – ein zwölfstöckiger Würfel im Stil der neuen Sachlichkeit, heute Sitz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Als beide Häuser eröffnet wurden, hatten die Berliner dort etwas ganz anderes im Sinn: In den 30er Jahren wurde hier getanzt und gefeiert bis zum frühen Morgen. Die einstige Königgrätzer Straße hatte man gerade nach dem 1929 verstorbenen Außenminister der Weimarer Republik, Gustav Stresemann, umbenannt, vom Anhalter Bahnhof aus fuhren die Berliner per Fernzug in den Süden, der Askanische Platz war ein Brennpunkt großstädtischen Lebens. In den Hotels drumherum logierten Künstler und Prominente. Da kam der Bau der beiden Vergnügungspaläste nach Entwürfen der Architekten Richard Bielenberg, Josef Moser und Otto Firle gerade recht.

Im Ensemble gab es Tanzpavillons und Festsäle, Cafés, ein Hofbräuhaus und Palmenrestaurant, einen Dachgarten auf dem Europahaus und das „Europa-Lichtspieltheater“ mit 2000 Plätzen im heutigen Deutschlandhaus. Zehntausende amüsierten sich hier allabendlich. Das Europahaus galt als architektonische Sensation, für ein paar Jahre war es das höchste Gebäude Berlins. Und die spektakuläre Leuchtreklame für Odol und Allianz auf beiden Häusern machte sie zu strahlenden Symbolen des Nachtlebens.

Im Café Stresemann an der Ecke zur Anhalter Straße konnte man bis vor kurzem noch diesen Glanz erahnen. Mehrfach wurde es umbenannt, hieß Mokka- Express, Schottenhaml, erst in den frühen 80er Jahren erhielt es den heutigen Namen. Das Interieur aber blieb. Die dunkel getäfelten Wände, die Marmortische, die Holztreppe, die sich zur Galerie hinaufschwingt. Das alles ist denkmalgeschützt und wird erhalten. Nach dem Umbau soll das „Stresemann“ wieder eröffnen, vielleicht als Museumscafé.

Nebenan, in Dorothea Bauers Lokal „Zur Traube“, ordern die Gäste die letzten Biere. Aus und vorbei. Der Schankraum, der wie eine gute Stube wirkt. Der kupferbeschlagene Tresen, das Buffet – vieles noch aus den Zwanzigern und teils denkmalgeschützt. Was soll damit geschehen? „Vielleicht interessiert sich ja irgendein Liebhaber dafür “, sagt die Wirtin und streicht über das Holzfässchen, aus dem der Zapfhahn ragt. „Wir sind hier die letzten Vertriebenen.“

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