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Berlin: „Im Herzen der Baustelle“

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Klaus Wowereit hat gewiss viele gute Gaben, aber rhetorische Sorgfalt ist nicht seine Stärke, ganz zu schweigen von rhetorischem Schliff. Mitunter wird einem himmelangst, wenn er sich durch seine Redetexte quält. Das ist keine Vertrauenswerbung. Neulich hielt der Regierende Bürgermeister vor dem Parlament eine ganz besondere Rede. Es war die Regierungserklärung zur EUErweiterung, dem „epochalen Ereignis“, wie er betonte. „Mein Appell an die Berliner Wirtschaft ist: Knüpfen Sie grenzüberschreitende Kontakte! Werfen Sie Ihre Kompetenz bei der Erschließung der Märkte in Mittel- und Osteuropa in den Ring!“ Was für eine Worthülse! Nach einer strapazierten Redewendung wirft man seinen Hut in den Ring. Kompetenz kann man allerdings nirgendwohin werfen. Sachverstand ist kein Gegenstand. „Die Öffnung der mittel- und osteuropäischen Märkte hat mehr Arbeitsplätze geschaffen, als verlagert wurden“, sagte Wowereit. Na gut, das überflüssige Komma hört man nicht. Die Öffnung jedenfalls ist nicht handlungsfähig. Wenn es so ist, dass mehr Arbeitsplätze geschaffen als verlagert wurden, dann geschah es durch die Öffnung dieser Märkte. Leider geniert sich ja niemand mehr, Taten, Gegenstände und Eigenschaften mit Personen zu verwechseln.

Zu Recht warb Wowereit für die Modernisierung der Bahnstrecke Berlin – Stettin. Da purzelten ihm in der Eile Zeit und Raum durcheinander: „Mit der einzigen Bahn-Direktverbindung nach Stettin braucht man heute gut zwei Stunden. Das ist für eine Entfernung von 140 Kilometern entschieden zu lang.“ Also an der Entfernung kann man nichts ändern; folglich kann die Strecke auch nicht „zu lang“ sein. Vielmehr dauert die Zugfahrt „zu lange“.

Für die Europapolitik des Senats nannte Wowereit unter anderem dieses Beispiel: „Berlin ist mit 36 Twinning-Beteiligungen bundesweit führend. Wir begründen damit strategische Partnerschaften, die weit in die Zukunft weisen.“ Welche Zwillingsbeteiligungen? Das hat er seinen Zuhörern nicht verraten. Hauptsache, Berlin ist „bundesweit führend“.

Was ist dieses vereinte Europa? „Europa ist eine Baustelle und wo, wenn nicht im Herzen dieser Baustelle sollten wir Berliner unseren Platz haben.“ Lassen wir auch hier die zum Glück nicht hörbare Interpunktion beiseite. Wer hat ihm bloß diesen rhetorischen Glanz auf die Lippen gelegt? Wie von ungefähr taucht ein Wort fürs Herz auf. Wer will schon auf einer Baustelle wohnen, „im Herzen“ einer Baustelle gar? Berlin habe sich „gut positioniert“, meinte Wowereit: „Ohne Frage bleibt aber auch noch vieles zu tun. Es geht auch hier um einen Mentalitätswechsel in der Stadt.“ Ja, ja, er hat diesen Begriff geprägt. Wieso unterfüttert er ihn nicht?

Wie sagte der Regierende Bürgermeister? „Sprachkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation.“ Das ist wahr.

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