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Berlin: Im Kino mit Horst Köhler

Jugendliche der Sophie-Scholl-Oberschule schauten sich zusammen mit dem Bundespräsidenten den Sophie-Scholl-Film an – und waren beeindruckt

Das wusste er nicht. Dass Sophie Scholl genau an dem Tag ermordet wurde, an dem er auf die Welt kam: am 22. Februar 1943. „Natürlich wusste ich schon eine ganze Menge über die Weiße Rose, aber jetzt bin ich ganz aufgebracht“, sagt Bundespräsident Horst Köhler.

Gerade haben er und seine Frau zusammen mit Elft-, Zwölft- und Dreizehntklässlern der Sophie-Scholl-Oberschule im Cinestar am Potsdamer Platz den Sophie-Scholl-Film gesehen. Es dauert eine Weile, bis Köhler zum staatsmännischen Lächeln zurückfindet. Dann setzt er sich an einen langen Tisch vor der Leinwand, neben ihm Sophie-Scholl-Darstellerin Julia Jentsch, Regisseur Marc Rothemund und Drehbuchautor Fred Breinersdorfer.

Der Film habe ihn beeindruckt, sagt der Bundespräsident und zu Julia Jentsch gebeugt: „Wie kann man das so gut rüberbringen? Das grenzt an ein Wunder.“ Jentsch lächelt schüchtern und verhaspelt sich, als sie sagt, dass der Film sie „schon irgendwie verändert habe.“

Die Jugendlichen sind begeistert, vom Film, von der Tatsache, dass Köhler nun vor ihnen sitzt, von Julia Jentsch. „Coole Sache hier, heute Morgen“, sagt einer. Nach der Filmvorführung haben sich viele Tränen weggewischt und dankbar zu den Pepsi-Cola-Bechern im Foyer gegriffen, die die Produktionsfirma ausgab. Köhler möchten sie am liebsten gleich zehn Fragen auf einmal stellen: Was die Bundesrepublik tue, um in anderen Ländern Widerstandsgruppen zu unterstützen, will ein Schüler wissen. Ob auch er wie Sophie Scholl sein Gewissen über das Gesetz stellen würde? Was er dazu sage, dass er von der NPD Applaus für seine Rede in Israel bekommen habe?

Der Bundespräsident versucht geduldig, auf alle Fragen einzugehen: Dass Deutschland manchmal „zu schüchtern“ sei im weltweiten Kampf für die Menschenrechte, sagt er, und dass unsere Demokratie stabil genug sei, um die Auseinandersetzung mit der NPD zu überstehen. Vor allem aber sollen die Jugendlichen vor ihm begreifen, dass die NS-Zeit und der 8. Mai nicht Geschichtsstoff wie jeder andere ist. Da lehnt er sich ganz weit nach vorne über den Tisch, um ihnen klar zu machen, dass es mit auswendig lernen nicht getan ist, sondern sie sich selbst eine Meinung bilden müssen, „um das Böse zu erkennen“. Man müsse viel mehr diskutieren darüber und warum nicht selbst in die Archive gehen und Dokumente lesen? „Diese Verhörprotokolle, alle unterschrieben von Sophie Scholl, die liegen im Bundesarchiv“, sagt Marc Rothemund und fuchtelt mit den Armen, noch ganz beeindruckt von der Authentizität.

„Das gibt’s doch nicht“, ruft eine Schülerin verärgert, als nach einer Stunde Moderator und Drehbuchautor Breinersdorfer die Schüler ermahnt, sich kurz zu fassen, Köhler müsse zum nächsten Termin. „Wir haben noch so viele Fragen an Sie“, ruft eine andere. Sie hätte gerne gewusst, warum Bundeskanzler Schröder bei seinem Freund Putin nichts gegen die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien unternehme. In unserer Schule wird viel diskutiert“, sagt Dennis Heinrich, Elftklässler, „viele sind politisch interessiert.“ Deshalb wären wohl auch gerne mehr mit ins Kino gekommen. Wegen der Sicherheitsvorkehrungen durften aber nur 80 in den Saal. Ausgewählt wurden die, die Politische Weltkunde oder Geschichte als Leistungsfach gewählt haben.

In der Schule sei ein Flugblatt kursiert, auf dem Schüler gegen die Veranstaltung polemisiert haben, sagt Nathalie Boyke aus der 12. Klasse. Dass nur die Elite mitkommen dürfe, stand darauf. „Das ist doch Quatsch, wir sind doch keine Elite, nur weil wir uns für Politik interessieren.“ Aber vielleicht kommt ja Köhler bald in die Sophie-Scholl-Schule nach Schöneberg. Nathalie Boyke hat ihn im Kinosaal spontan zu einem Theaterstück eingeladen. „Wir halten Ihnen auch bestimmt einen Platz in der ersten Reihe frei.“

Claudia Keller

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