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Berlin: Im Namen der Nordallianz

Der Staatsrechtler Stefan Korioth vertritt vor dem Bundesverfassungsgericht sieben Länder gegen Berlin

Ist das der Mann, der Berlin das Geld nicht gönnt? Der es gleichzeitig so schätzt, die schönen Seiten der Hauptstadt regelmäßig zu genießen, der kürzlich durch den Martin-Gropius-Bau geschlendert ist und August Sanders Fotografien bewundert hat. Dem Adjektive wie bunt und vital und spannend einfallen, wenn er von der Hauptstadt spricht. Der häufig einige Stationen weiter fährt, wenn er in Mitte aus der U-Bahn steigen muss, um das letzte Stück zurück zu spazieren. Weil er die Gegend um den Gendarmenmarkt so sehr mag, die gelassene Ästhetik der Hauptstadt. Weiß dieser Mann, dass die Stadt vielleicht bald nicht mehr das Geld haben wird, die Schönheit zu pflegen?

Sehr gut weiß der Jurist Stefan Korioth das, weil er vielleicht selbst dazu beitragen wird. Korioth versucht zu verhindern, dass Berlin Geld bekommt. Von Berufs wegen. Weil der Senat vom Bundesverfassungsgericht eine extreme Haushaltsnotlage bescheinigt bekommen und auf diesem Wege viel Geld vom Bund erhalten will, rüsten andere Bundesländer eifrig zur Gegenoffensive: Von sieben Ländern ist Stefan Korioth, Professor für Staatsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München, beauftragt worden, Widerstand zu leisten. Das tut er. Nicht erbittert, sondern völlig gelassen. Und das kann noch effektiver sein.

Wenn Korioth in seinem Büro Platz nimmt und erklären soll, warum Berlin kein Geld zusteht, dann tut er das so geduldig und präzise wie in dem 49-seitigen Papier, das er zu jenem Anlass erstellt und nach Karlsruhe geschickt hat: Er erläutert, was dagegen spricht, Berlins Finanzsituation das Prädikat „Haushaltsnotlage“ oder „extreme Haushaltsnotlage“ zu verleihen. Er spricht davon, dass nicht einmal der Berliner Verfassungsgerichtshof eine derartige Notlage festgestellt hat und dass der Schuldenberg im Übrigen viel eher aufgrund der missratenen Ausgabenpolitik des Landes als wegen seiner Hauptstadtfunktion gewachsen sei. All das führt Korioth mit einer Liebe zum Detail aus.

Der Jurist ist seit Jahren ein ausgewiesener Fachmann in Fragen der öffentlichen Haushalte. „Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern“ heißt der Titel seiner 1996 erschienenen Habilitationsschrift. Einmal hat auch Berlin von ihm profitiert. Als sich das Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren mit dem Thema Länderfinanzausgleich beschäftigte, gab Korioth ein Plädoyer für die seinerzeit umstrittene Einwohnergewichtung ab, die den Stadtstaaten eine Besserstellung gegenüber den restlichen Ländern sichert.

Der 43-jährige Korioth ist kein Freund des pompösen Statements, nicht in Raum 217 im Hauptgebäude der Münchner Uni, in der er dienstagmittags seine Vorlesung zum Kirchenrecht hält, und nicht in der Sache Berlin. Nur selten lässt er sich hinreißen zu deutlichen Worten, etwa, dass die Hauptstadt zu lange in der bundesstaatlichen Hängematte gelegen habe. Oder dass viel früher Sparen angesagt gewesen wäre, und, von ihm aus, durchaus die Reklameparole „Geiz ist geil“ in Berlins Finanzpolitik noch mehr Beachtung finden dürfe. Dass man das Anspruchsdenken noch weiter senken müsse, manchmal müsse auch ein Polo reichen statt eines Golfs.

Dem Verdacht, die durch die Wiedervereinigung im Osten Deutschlands entstandenen Probleme nicht zu kennen, begegnet der aus dem Ruhrgebiet stammende Jurist gelassen. Vier Jahre lehrte er an der Universität Greifswald. „Natürlich ist eine Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen alten und neuen Ländern wünschenswert, zumal in Berlin“, sagt Korioth, aber, so steht es in seinem Gutachten, das finanzausgleichsrechtliche Verteilungssystem habe nicht die Aufgabe, die misslungene Finanzpolitik eines Landes aufzufangen.

Besonders kompromissbereit klingt der Mann nicht, der den mäßig charmanten Kampfnamen „Anwalt der Nordallianz“ nur aus topografischen Gründen ablehnt. Neben Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt und vertritt er Rheinland-Pfalz und Thüringen.

„Tröstliches ist nicht ganz so leicht zu sagen“, findet Korioth, wenn er den Berlinern derzeit etwas Tröstliches zur Finanznot ihres Landes sagen soll. Immerhin, es könnte schlimmer sein, bemerkt Korioth in einem raren Moment der Ironie. Als er kürzlich auf dem Weg nach Berlin war, habe er sich besorgt gefragt, ob die Straßenlaternen wohl noch leuchten würden. „Sie waren an“, habe er später erleichtert festgestellt. Noch leuchtete Berlin. Auch der Gendarmenmarkt.

Daniel Pontzen

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