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Berlin: Im Pappkarton lagerte hochexplosive Granate

„Museum der Dinge“ hat jetzt ein Ding weniger / Polizei sprengte mitten in Kreuzberg

Schlagartig rückte gestern ein noch gar nicht eröffnetes Museum in die Öffentlichkeit. Am Vormittag hatte Kuratorin Renate Flagmeier in einem Pappkarton etwas entdeckt, „was irgendwie gefährlich und nach Munition“ aussah. Vorsichtshalber rief sie die Polizei – und damit kam der größte Einsatz in Kreuzberg außerhalb der traditionellen Erste-Mai-Krawalle ins Rollen. Erst guckten sich Beamte von der Kreuzberger Wache den Gegenstand an, die riefen sofort die Sprengstoffspezialisten des Landeskriminalamtes. Und die urteilten: „Gewehrgranate, deutsches Fabrikat, Zweiter Weltkrieg, hochexplosiv“ und vor allem: „zu gefährlich, um transportiert zu werden.“ Da die Granate nicht in dem kurz vor der Eröffnung stehenden Museum gesprengt werden konnte, suchte sich die Polizei die nächst gelegene Freifläche im Bezirk – eine Erdgrube im Mittelstreifen des Leuschnerdammes. Gegen 13 Uhr begannen behelmte Einheiten der Bereitschaftspolizei, die Oranienstraße und alle Seitenstraßen zu räumen. Autos wurden ebenso gestoppt wie BVG-Busse. Lautsprecherwagen fuhren die Oranienstraße auf und ab und riefen die Bewohner auf, sich in die hinteren Teile ihrer Wohnungen zu begeben und ja nicht aus dem Fenster zu sehen. Niemand sollte in der Nähe sein, als die Granate die etwa 500 Meter zum provisorischen Sprengplatz gefahren wurde. Dies geschah mit einem handelsüblichen VW-Kastenwagen, vorsichtiger als ein rohes Ei hatten die Spezialisten die etwa 20 Zentimeter lange Granate in eine gepolsterte Kiste verpackt und waren dann langsam unter Vermeidung von Schlaglöchern über die Oranienstraße in den Leuschnerdamm gefahren. Über die Grube wurde eine „Sprengdecke“ gelegt, um 13.38 Uhr wurde die Granate gesprengt – „kontrolliert“, wie es im Polizeideutsch heißt. Über zehn Meter hoch flogen Splitter, Sand und Schutzmatte.

Wie das Ding in das „Museum der Dinge“ kam, sei rätselhaft, sagte Kuratorin Renate Flagmeier, nachdem sich der Pulverdampf verzogen hatte. Der Karton sei unbeschriftet, der Inhalt nicht inventarisiert gewesen. Vermutlich habe ihn irgendwann irgendjemand abgegeben und er sei dann vergessen worden. Zuvor habe der Karton in einem der Museumsdepots gelagert, versichert Flagmeier – und nicht in dem von Millionen Menschen besuchten Martin-Gropius-Bau, bis 2002 das alte Domizil des Werkbundarchivs. Am 28. Juni soll das Museum nun in der Oranienstraße 25 neu eröffnen, auch wenn die Sammlung gestern um ein Stück reduziert wurde.

Aus den Depots habe man übrigens alles mit dem eigenen Auto in die Oranienstraße gefahren, erzählt Flagmeier, zum Glück sei da nichts explodiert. In den neuen Räumen sollten endlich die Bestände gesichtet werden. Früher sei es nicht unüblich gewesen, Spenden einfach wegzulegen, ohne in die Kisten und Kästen zu gucken; Kuratorin Flagmeier benutzt an dieser Stelle das Wort „naiv“.

Als einzigartig gilt die Sammlung, weil sie die sonst übliche Trennung zwischen Hochkultur und Alltagsdingen aufhebt – deshalb hat das Werkbundarchiv auch den Namen „Museum der Dinge“ gewählt. Wer die Idee hatte, dem Museum eine scharfe Granate zu vermachen, wird sich vermutlich nicht mehr klären lassen. Als Alltagsobjekt des Krieges passte die Weltkriegsgranate auch zeitlich in die Sammlung, die sich auf das 20. Jahrhundert spezialisiert hat.

Eine „Gewehrgranate“ kann laut Internetlexikon Wikipedia „über einen speziellen Aufsatz auf dem Gewehrlauf einer Kriegswaffe verschossen werden und hat dabei mit etwa 250 Metern eine größere Reichweite und bessere Zielgenauigkeit als eine Handgranate. Ha

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