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Berlin: Im Schatten der Sonnenuhr

Klare Worte in schwieriger Lage: Neuköllns Bürgermeister auf Ortstermin in der High-Deck-Siedlung

Die Schulkinder wärmen sich mit Mützen und Schals, zwei Mädchen tragen Kopftücher. Wir sind in Neukölln, in der Sonnenallee, und die Kinder singen laut und vergnügt: „Von den blauen Bergen kommen wir.“ Hinter ihnen erhebt sich das graue Beton-Gebirge der High-Deck-Siedlung. Das nächste Lied, „Wochenend’ und Sonnenschein“, passt besser. Nicht zum trüben Novembertag, sondern zum Anlass der Gesangsstunde: Die Kinder besingen die Enthüllung einer Sonnenuhr.

Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky hält eine Rede. Es ist nicht ganz einfach, im Novembergrau über die Einweihung einer Uhr zu reden, die nur bei Sonnenschein funktioniert. Buschkowsky kennt solche Situationen. Immer wenn sie nicht weiter wüssten in seiner Partei, der SPD, heiße es: „Schickt doch mal den kleenen Dicken nach vorn.“ Er lobt das Engagement von Mietern und Wohnungsgesellschaft, und keinem fällt auf, dass er nichts zur Sonnenuhr sagt.

Neukölln ist reich gesegnet mit problembeladenen Siedlungen. Rollberg- Viertel, Gropiusstadt oder Hermannplatz stehen für den problematischen Ruf des Bezirks. „Aber die High-Deck-Siedlung ist schon was ganz Besonderes“, sagt der Bürgermeister und senkt die Stimme. Der Sozialdemokrat Buschkowsky hat es mit seinen Thesen zum Scheitern des Multikulti-Modells zu einiger Berühmtheit gebracht. Als naiver Populist ist er damals beschimpft worden. Das war vor ziemlich genau einem Jahr, lange bevor die Pariser banlieues brannten.

Für die Neuköllner ist Buschkowsky einer, der die Probleme beim Namen nennt. Auch in der High-Deck-Siedlung: „Viel Beton, schlechter Beton.“ Eigentlich müsste man das Ganze hier abreißen, „aber das ist nun mal das Zuhause von 5000 Menschen“. 40 Prozent Mieter sind nichtdeutscher Herkunft, 30 Prozent arbeitslos. Wer es sich leisten kann, zieht weg.

Über Stege sind die Haustürme der Siedlung miteinander verbunden. Auf den oberen Decks die Menschen, unten die Autos – dieses Konzept galt bei der Eröffnung vor 30 Jahren als revolutionär. Es hat nicht funktioniert, denn der menschenleere Raum unten wurde schnell zum rechtsfreien Raum umdefiniert. „Viel Straßenkriminalität, Handy- und Jacken-Diebstahl“, konstatiert Hans Steffen, der Abschnittsleiter der Polizei. Hat diese Siedlung keine anderen Probleme, als sich im November eine Sonnenuhr hinzustellen?

Diese Frage mag keiner der rund 150 Zuhörer mehr stellen, als der Bürgermeister erzählt, was hier vorher war: „Ein Säufertreffpunkt“, in den Beeten lagen Schnapsflaschen. 100000 Euro hat die Wohnungsgesellschaft „Stadt und Land“ investiert. „Das ist verdammt wichtig, weil die Menschen hier nicht glauben dürfen, dass sie abgeschrieben sind“, sagt Buschkowsky. „Sonst könnte es hier bald ganz anders aussehen.“ Doch jetzt wirkt Neukölln auch an einem eisigen Novembertag allemal sonniger als die banlieues von Paris.

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