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Berlin: Im Seucheninstitut stapeln sich die Kadaver

Berlins tote Vögel kommen bei ihm auf den Tisch: Jochen Hentschke untersucht sie auf Grippeviren

Aus seinem Labor kommt Jochen Hentschke derzeit kaum heraus. Seine Stimme dringt nur dumpf durch den Mundschutz. Er trägt zwei Brillen: eine zum Sehen und eine aus Plastik zum Schutz vor Viren. Seitdem auf Rügen Schwäne mit dem gefährlichen H5N1-Virus entdeckt wurden, ist der Leiter des Berliner Instituts für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen (Ilat) im Dauereinsatz. Er seziert verendete Vögel und untersucht sie auf Grippeviren. Die institutseigenen weißen Schutzanzüge sind aufgebraucht – deshalb trägt der Tierarzt jetzt Gelb. „In dem Anzug wird einem richtig heiß, der Mundschutz ist für 20 Minuten zugelassen. Danach kann der Sauerstoff knapp werden“, murmelt er und lacht leise, während er seine Hände in blaue Latexhandschuhe zwängt. „Wenn Ihnen mulmig wird, gehen Sie bitte in den Vorraum und nehmen erst dort den Mundschutz ab“, sagt er plötzlich ganz ernst.

Hinter einer großen Metalltür, auf der mit orangefarbenen Aufklebern vor „Biogefährdung“ gewarnt wird, geht es über eine Desinfektionsmatte in den Sektionsraum. Hier ist alles mit Fliesen ausgekleidet, die Fenster sind abgeklebt. Ein riesiger Haken an einem Kran über dem Edelstahltisch lässt einen erahnen, dass hier sonst auch schon einmal Großtiere aufgesägt werden.

Diesmal sind es Schwäne, eingeliefert von der Feuerwehr. Samstag um Mitternacht hatte Hentschke den ersten Anruf erhalten. Fehlalarm. Am Morgen klingelte es dann wieder: Zwei tote Höckerschwäne wurden entdeckt – am Tegeler Hafen und an der Greenwich-Promenade.

Jetzt hängen ihre Köpfe schlaff an der Tischkante herunter. An den Hälsen fehlt schon ein bisschen Gefieder. Rot leuchtet blankes Fleisch hervor – hier hat Hentschke die Luftröhre freigelegt. Er führt ein Wattestäbchen ein und nimmt einen Abstrich. Dann an der Kloake einen zweiten. Die Stäbchen kommen sofort in Reagenzgläser mit pinkfarbener Lösung. „In der Luftröhre und an der Kloake vermehren sich Grippeviren, wenn sie vorhanden sind", erklärt der Tierarzt. Routiniert öffnet er mit einer großen Geflügelschere den Brustkorb des ersten Schwans. Hentschke arbeitet seit 1969 am Ilat, hat den BSE-Skandal, Tollwutfälle und Gammelfleischalarm miterlebt.

Heute geht es um H5N1. „Wir testen, ob die Tiere überhaupt an irgendeiner Form von Geflügelpest erkrankt sind," erklärt er, während er ein Stückchen Leber, die Milz und ein Scheibchen Herz in eine Petrischale legt. Den Grippetest macht seine Assistentin. Nachdem ihr Chef sie schon ins Wochenende geschickt hatte, musste Monika Klaschinsky heute zweimal zurück ins Institut kommen. „Nur wenn dieser Test positiv ausfällt, werden die Proben auf die Insel Riems geschickt,“ erklärt Hentschke, während Frau Klaschinsky die Testflüssigkeit in kleine Röhrchen füllt. Am Friedrich-Loeffler-Institut auf Riems kann der gefürchtete H5N1-Stamm identifiziert werden. Bis das erste Testergebnis vorliegt, bleibt Hentschke noch Zeit, Untersuchungsergebnisse anderer Vögel auszuwerten, die von Spaziergängern gefunden wurden.

Am Abend steht fest: Die beiden Schwäne hatten keine Vogelgrippe. Doch Jochen Hentschke hat noch säckeweise tote Vögel auf Lager.

Dagny Lüdemann

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