zum Hauptinhalt

Berlin: Im Sommer gibt’s Hustensaft zum Sonderpreis

Die Folgen der Gesundheitsreform für Patienten, Ärzte und Krankenkassen: Wer zahlt was und wer leidet darunter?

Noch sind viele Fragen offen, doch eines steht jetzt schon fest: Die Gesundheitsreform bringt viele neue Belastungen für die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen wie auch für bestimmte Wirtschaftszweige. Doch was bedeutet das konkret für die Berliner? Über die augenfälligsten Veränderungen – zum Beispiel die zehn Euro „Eintrittsgebühr“ pro Quartal und Arzt oder die angehobenen Zuzahlungen für Arzneimittel und Krankenhausaufenthalte – hat der Tagesspiegel bereits ausführlich berichtet. An dieser Stelle haben wir vier weitere Punkte herausgegriffen, um sie näher zu betrachten.

Zahnersatz: Laut Eckpunktepapier zur Gesundheitsreform wird „ab 2005 der Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegliedert. Eine obligatorische Absicherung wird in einem (…) Wettbewerb sowohl von der gesetzlichen als auch von der privaten Krankenversicherung angeboten.“

Die neuen Belastungen seien gar nicht so dramatisch, sagt Axel Kaiser von der Berliner Zahnlaborfirma „pro dentum“. „Mit der Zusatzversicherung, die monatlich um die 7,50 Euro kosten soll, ändert sich für die Versicherten erst mal gar nichts.“ Die Zuschüsse gäbe es dann weiter. Kaiser hofft aber auf eine Änderung, weg vom jetzt üblichen Therapie orientierten Zuschuss hin zum Befund orientierten. „Heute kann der Patient auch eine teure Behandlung wünschen und bekommt dann die prozentuale Erstattung von der Kasse. Derjenige also, der sich eine teure Sanierung leisten kann, bekommt mehr heraus.“ Beim Befund orientierten Zuschuss dagegen erhält der Patient einen Festbetrag für jede Diagnose, also zum Beispiel Krone oder Brücke. Dann müsse der Patient die Preise vergleichen, wo er für sein Budget am meisten bekommt. „pro dentum“ hat sich auf preiswerten Zahnersatz aus Fernost spezialisiert.

Brillen: Das Eckpunktepapier: „Der Leistungsanspruch bei der Versorgung mit Sehhilfen wird begrenzt auf Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres sowie schwer sehbeeinträchtigte Versicherte.“

„Auch wenn die Ausnahmen noch nicht genau definiert sind, so kann man aus früheren Reformentwürfen Rückschlüsse ziehen“, sagt Burkhard Stelse, Vorsitzender der Berliner Augenoptiker-Innung. Als schwer sehbeeinträchtigt gälten dann diejenigen, die drei Prozent Sehkraft besäßen. „Also praktisch blind.“ Die Zuschüsse, die die Kassen bisher für Gläser zahlen, seien jedoch so gering, dass deren Wegfall nicht jedem auffallen werde. „Pro Glas zahlen die Kassen zwischen sieben und neun Euro zu.“ Aber bei den bifokalen Gläsern, die gleichzeitig für die Nah- und die Weitsicht geeignet sind, schössen die Kassen noch 95 Euro für beide Gläser zu. Insgesamt gab allein die AOK Berlin für ihre rund 800 000 Versicherten im letzten Jahr 8,25 Millionen Euro für Sehhilfen aus. Die Gefahr sei, sagt Stelse, dass manche den Kauf einer neuen Brille hinausschieben könnten. „Das ginge zu Lasten der Verkehrssicherheit, der Gesundheit und natürlich auch des Optikerumsatzes.“ Der Innungschef erwartet in den nächsten Wochen eine verstärkte Nachfrage nach Brillen, bevor im Januar 2004 die Zuschüsse gekappt werden. „Und im nächsten Jahr folgt dann für uns ein tiefes Tal.“

Taxifahrten zur und von einer ambulanten Behandlung: „Fahrtkosten für Taxi- und Mietwagenfahrten werden in der ambulanten Versorgung (…) nicht mehr erstattet. Ausnahmen davon gibt es nur nach Genehmigung durch die Krankenkasse (zum Beispiel für Dialyse-Patienten)“, heißt es.

Die Fahrtkosten, also Fahrten mit dem Taxi oder dem Mietwagen zur Behandlung, seien einer der am stärksten steigenden Ausgabeposten der Kassen, sagt der Sprecher der Berliner Ersatzkassen, Andreas Kniesche. Allein die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) gibt für ihre 240 000 Berliner Versicherten rund 650 000 Euro dafür aus. Zum Beispiel für Dialysepatienten: Sie können zwar mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Blutwäschen kommen, doch ist die Dialyse meist für den Körper so belastend, dass das auf dem Rückweg nicht mehr funktioniert. Dann fahren sie oft mit dem Taxi und reichen die Rechnung bei ihrer Krankenkasse ein. Abzüglich der Selbstbeteiligung von 13 Euro bekommen sie dann ihr Geld erstattet. Im Eckpunktepapier wird zwar die Dialyse als Ausnahme genannt, bei der die Kasse weiterhin das Taxi zahlen soll. Doch die weiteren Ausnahmen sind nicht geklärt, beispielsweise für Krebspatienten, die zur ebenso belastenden Chemotherapie fahren müssen.

Medikamente: Die bisherige Preisbindung für rezeptfreie Arzneimittel soll laut Eckpunktepapier entfallen.

Mit dieser Preisfreigabe drohe dem Gesundheitswesen die totale Kommerzialisierung, sagt der Geschäftsführer der Berliner Apothekervereins, Friedrich-Wilhelm Wagner. „Es besteht die Gefahr, dass manche Apotheker nur die Arzneimittel am Lager haben, die Umsatz bringen.“ Das Nachsehen hätten dann jene Patienten, die eine seltene Krankheit haben oder ein wenig nachgefragtes Medikament benötigen. Dies könne auch dazu führen, dass saisonabhängige Arzneien gerade dann teurer würden, wenn sie am meisten gebraucht werden, Erkältungsmittel im Herbst zum Beispiel. Und im Sommer bekäme man dann den Hustensaft zum Schnäppchenpreis. Schlimmer aber sei der Druck auf den Patienten. „Ein Kranker ist doch kein klassischer Kunde“, sagt Wagner. Von ihm könne man doch nicht erst einen Preisvergleich erwarten, bevor er ein dringend benötigtes Medikament kauft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false