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Berlin: Immer der Erste

Als Ahmet Alagün 1991 zum Richter ernannt wurde, hörte er folgenden Satz: „Wie schön, dass wir endlich einen türkischstämmigen Richter in Berlin haben. Nur schade, dass Sie so gar nicht danach aussehen.

Als Ahmet Alagün 1991 zum Richter ernannt wurde, hörte er folgenden Satz: „Wie schön, dass wir endlich einen türkischstämmigen Richter in Berlin haben. Nur schade, dass Sie so gar nicht danach aussehen.“ Alagün, 51 Jahre, graumeliertes Haar, freundliches Gesicht, lacht während er das erzählt. Tatsächlich will der großgewachsene Jurist so gar nicht in das Bild passen, das landläufig über Türken besteht. Leute, die zuerst seinen Namen hören und ihm danach begegnen, sind meist genauso überrascht wie diejenigen, die ihn kennenlernen und dann erfahren, dass er Ahmet heißt. Er wird fast täglich darauf angesprochen. Alagün nimmt es mit Humor.

In Zukunft sitzt der aufsichtsführende Richter vom Amtsgericht Mitte im Berliner Richterwahlausschuss, einem Gremium, dass wichtige juristische Ämter besetzt und über Beförderungen entscheidet. 14 Mitglieder hat der Ausschuss, der aus Politikern und Juristen besteht. Am Donnerstag wurde Alagün vom Abgeordnetenhaus auf einen dieser Posten gewählt. Es ist das erste Mal, dass ein Richter mit türkischen Wurzeln dabei ist.

Alagün ist genau genommen Halbtürke. Sein Vater kam zum Studieren aus Ankara nach Deutschland, wurde Arzt und heiratete eine deutsche Frau. Sohn Ahmet wurde in Würzburg geboren, wuchs in Aachen auf und kam 1980 nach Berlin um hier zu studieren. Seinen Zivildienst hatte Ahmet Alagün da schon hinter sich, „ich bin allein deswegen gekommen, weil ich die Stadt liebe“, sagt er.

Wenn ihm im Alltag Türken begegnen, laute eine der ersten Fragen: „Fühlst du dich als Türke oder Deutscher?“ Eine Frage, die Alagün nicht mit einem Satz beantworten kann. „Ich bin irgendwie zwischen den Welten“, sagt er. Er verstehe eben beide Seiten ganz gut. Eine andere beliebte Frage lautet: „Sprichst du Türkisch?“ Das kann er bejahen. Zuhause sei er mit beiden Sprachen aufgewachsen. In der Türkei, wo er gerne Urlaub macht, hält man ihn für einen Deutschen mit guten Türkischkenntnissen, wegen seines leichten deutschen Akzents.

Das Türkische nutzt dem Juristen manchmal auch bei der Arbeit. Beispielsweise dann, wenn türkische Zeugen aussagen und der Dolmetscher nicht genau übersetzt. Am Anfang habe er türkische Zeugen, Kläger oder Angeklagte zuweilen in ihrer Landessprache angeredet, doch das habe er sich ziemlich schnell wieder abgewöhnt. Denn es sei vorgekommen, dass ihn die Leute daraufhin duzten, ihm sagten, wie stolz sie auf ihn sind oder jegliche Distanz verloren. Also behält Ahmet Alagün seine Herkunft während der Arbeit lieber für sich – so lange, bis ihn wieder jemand wegen seines Namens darauf anspricht. Ferda Ataman

Ferda Ataman

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