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Berlin: Immer im Blick

Nach den Londoner Anschlägen diskutiert Berlin über den verstärkten Einsatz von Videokameras – doch die Überwachung des öffentlichen Raumes ist längst Normalität

Man ist im Bilde: die Einkäufer, die am Nachmittag die Friedrichstraße entlanghetzen, und auch die Touristen, die die verglasten Bürobauten und modernen Kaufhäusern hinaufschauen. Videokameras haben sie längst erfasst. Die Überwachungsgeräte hängen an den Fassaden, über den Klingelschildern, in den Eingängen, den Parkhäusern … Den Menschen in der Friedrichstraße scheinen die schwarzen Objektive mit den roten Lämpchen schon gar nicht mehr aufzufallen, die Datenschützer und Bürgerrechtler beunruhigt der Trend noch immer. „Der öffentliche Raum in Berlin wird zunehmend durch private Einrichtungen überwacht“, sagt Anja-Maria Gardain, Sprecherin des Datenschutzbeauftragten.

Und jetzt, nach den Anschlägen in London, wo Dutzende Menschen bei Sprengstoffanschlägen in drei U-Bahnstationen und einem Bus starben, werden auch in Berlin die Rufe wieder lauter: nach mehr Sicherheit, besserer Überwachung – und verstärktem Videoeinsatz im öffentlichen Raum. Der Streit ist neu entflammt, die politischen Lager existieren seit Jahren: Die CDU ist grundsätzlich dafür, SPD und Grüne sind grundsätzlich dagegen. „Selbst lückenlose Videoüberwachung kann Anschläge wie die in London leider nicht verhindern“, wiederholt Sibyll Klotz, Fraktionschefin der Grünen, derzeit fast gebetsmühlenartig.

Dabei schrumpfen die videofreien Lücken in unserem Leben zusehends, auch ohne Gesetzesänderung. Die Kameras sind allgegenwärtig, sobald wir das Haus verlassen: In jedem Supermarkt, im Einkaufscenter, in den Hotellobbys, auf Bahnhöfen und Flughäfen gehören die Geräte längst zur Grundausstattung. Sie überwachen die Eingänge in den Wohnanlagen, die Spielplätze und Mülltonnen. In der Stadt haben Polizei und Grenzschutz die rund zehn Quadratkilometer des Regierungsviertels fast komplett im Blick. Um sich gegen Randale und Vandalen zu wappnen, greifen selbst die Schulen auf Videotechnik zurück. Im Stadtbad Lankwitz werden die Gäste mit Badelatschen und Handtuch auf den Fluren gefilmt, im Sozialamt Neukölln nahmen bereits vor Jahren 19 Kameras ihren Dienst auf. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

„Schätzungsweise 60 bis 70 Prozent des öffentlichen Raums in Bezirken wie Mitte sind überwacht“, sagt Nils Leopold von der Humanistischen Union. Was die Verkehrsbetriebe jetzt, wie berichtet, noch etwas steigern möchten. Am Montag will die BVG mit dem Datenschutzbeauftragten verhandeln, um die Videoüberwachung in Bahnhöfen, U-Bahnen und Bussen deutlich auszuweiten. Und statt höchstens 24 Stunden – diese Frist gilt bislang für alle gefilmten Überwachungen – will die BVG ihre Aufnahmen künftig 72 Stunden speichern dürfen. Die BVG hat derzeit 850 Kameras in ihren 170 Bahnhöfen installiert – doch aufgezeichnet werden die Bilder nur, wenn ein Mitarbeiter der Leitstelle auf einem Monitor eine Straftat beobachtet oder wenn jemand auf dem Bahnsteig eine Notrufsäule aktiviert.

Die Gesetzeslage ist nicht ganz einfach, aber grundsätzlich gilt: Die Polizei darf „gefährdete Objekte“, also beispielsweise jüdische Einrichtungen, zur Prävention von Verbrechen mit Video überwachen. „Gefährliche Plätze“ – Kriminalitätsschwerpunkte wie das Kottbusser Tor oder der Breitscheidplatz – sind nach dem „Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz“ immer noch tabu. Bei allen privaten Überwachern, also in Kaufhäusern, Hotels und Bürogebäuden, gilt das Hausrecht: Auf eigenem Grund und Boden darf gefilmt werden, wenn das Material nur einen Tag aufbewahrt wird.

Vielen Berlinern scheinen die Kameras nicht geheuer. Zahlen gebe es zwar nicht, heißt es beim Datenschutz-Beauftragten, aber: „Immer wieder kommen die Bürger auf uns zu und fragen, ob eine bestimmte Anlage rechtlich zulässig ist“, sagt die Datenschutz-Sprecherin. Vor eineinhalb Jahren hatte sich ein Berliner Journalist gerichtlich dagegen gewehrt, dass er vor dem „Kulturkaufhaus Dussmann“ in der Friedrichstraße als Passant täglich unweigerlich ins Visier der Überwachungskameras genommen wurde. Das Amtsgericht Mitte entschied: Auf öffentlichen Bürgersteigen dürfen Unternehmen und Privatleute nur auf einem etwa ein Meter breiten Streifen entlang der Hauswand filmen. Klingt eindeutig, wird aber oft missachtet. „Der Datenschutzbeauftragte ist damit überfordert, die zahllosen Videoanlagen in der Stadt zu kontrollieren“, heißt es beim Humanistischen Bund.

London – was die flächendeckende Videoüberwachung angeht, galt die Stadt schon früher europaweit als absoluter Spitzenreiter. Nach den jüngsten Anschlägen wird London jetzt oft als Argument herangezogen – sowohl von den Gegnern als auch von den Befürwortern. „Die Attentäter konnten anhand der Bilder schneller identifiziert werden“, führen die einen ins Feld. Und die anderen kontern: „Aber trotz allgegenwärtiger Kameras konnte kein einziges Leben gerettet werden.“

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