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Berlin: Immer mehr Klagen über Ärztepfusch

573 Berliner Patienten beschwerten sich 2003 bei der Ärztekammer: 119 Kunstfehler anerkannt

Die Zahl der mit ihrem Arzt unzufriedenen Berliner Patienten steigt stetig. Nach Informationen des Tagesspiegel hat die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen in Hannover im Jahr 2003 die Beschwerden von insgesamt 573 Berliner Patienten über angebliche Behandlungsfehler bearbeitet. Diese Instanz, bei der sich Ärzte und geschädigte Patienten außergerichtlich auf einen Schadenersatz einigen sollen, wird von der Berliner Ärztekammer mitgetragen. Ein Jahr zuvor hatte die Schlichtungsstelle noch 526 Fälle aus der Hauptstadt zu den Akten gelegt, 1998 sogar nur 360. Die Gutachter erkannten im vergangenen Jahr in 119 Fällen einen Kunstfehler – ein Rekord seit 1990. Zum Vergleich: Im Jahr 2002 stellten sie 83 Behandlungsfehler fest.

Weisen die Gutachter der Schlichtungsstelle einen Behandlungsfehler nach, dann zahlen die Haftpflichtversicherungen der betroffenen Ärzte in den allermeisten Fällen im Rahmen eines Vergleichs Schadenersatz. „Die Summen erreichen aber nie den siebenstelligen Eurobereich“, sagt der Berliner Ärztekammerpräsident Günther Jonitz.

An der Spitze der Fehlerstatistik finden sich regelmäßig die chirurgischen Fachdisziplinen. Aber nicht etwa, weil die Chirurgen besonders fehleranfällig wären, sondern weil ihre Fehler leicht zu erkennen seien, heißt es bei der Ärztekammer. Anhaltende Schmerzen nach einer Operation zum Beispiel, schwere Komplikationen nach einem scheinbaren Routineeingriff oder auch im Bauch vergessene OP-Utensilien. Wird aber eine Krankheit falsch diagnostiziert, dann muss das nach aktuellen Gerichtsurteilen kein Pfusch bedeuten. „Wenn der Arzt nach bestem Wissen alles versucht hat, die Krankheit zu bestimmen und trotzdem daneben lag, zählt dies nicht als Behandlungsfehler“, sagt Jonitz.

Woran liegt es, dass Ärzte immer öfter Fehler machen? „Weil die Zahl der Behandlungen steigt", sagt Kammerchef Jonitz. In Berlin praktizieren rund 18 000 Ärzte. Außerdem werde die Therapie durch den medizinischen Fortschritt zunehmend komplizierter und schwieriger. Damit wachse das Risiko, dass der Doktor etwas falsch mache. Und schließlich sei der Patient aufgeklärter und eher bereit, sich bei Pfuschverdacht zu wehren. „Immer mehr Betroffene vertrauen sich der Schlichtungsstelle an."

Die Gutachter fällen ihre Empfehlung anhand der Akten, ohne den Patienten in Augenschein zu nehmen. „Aber sie beurteilen ihre Kollegen nach sehr hohen Maßstäben“, sagt Jonitz. Die Verfahren vor der Schlichtungsstelle sind für den Patienten kostenlos. Allerdings müssen beide Seiten diesem Weg zustimmen, der Patient ebenso wie der Arzt. Und die Schlichtungsurteile sind nicht bindend, auch wenn sie in den allermeisten Fällen akzeptiert werden. „Selbst wenn Patient, Arzt und Kammer zustimmen, stellen sich manchmal die Haftpflichtversicherungen quer und wollen lieber vor Gericht ziehen", sagt Jonitz. Dann bleibe dem Patienten nur der Klageweg zur Durchsetzung seines Anspruches. Ebenso, wenn er am Schlichtungsergebnis zweifelt.

Auch die AOK Berlin führt Statistiken über Behandlungsfehler. Seit August 2000 zählte die Kasse insgesamt rund 3200 Beschwerden über die Therapiequalität von Medizinern – pro Monat kommen im Schnitt 60 hinzu. Von den bis heute abgeschlossenen rund 2000 vermeintlichen Fällen bestätigten die Kassengutachter mehr als 360 als tatsächliche Kunstfehler.

Die Ärztekammer nimmt Hinweise auf Behandlungsfehler nur schriftlich entgegen und reicht sie an die Schlichtungsstelle weiter: Ärztekammer Berlin, Referat Berufsrecht, Friedrichstraße 16, 10969 Berlin.

Das AOK-Serviceteam „Behandlungsfehler“ ist unter Telefon 2531-2828 erreichbar.

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