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Zeitgeschichte im Fokus. Gisela Kayser hat in den vergangenen 25 Jahren 300 Ausstellungen in der SPD-Parteizentrale kuratiert.

© Kitty Kleist-Heinrich

Immer politisch, nie parteiisch: Retrospektive zeigt 25 Jahre Fotografie im Willy-Brandt-Haus

Rund 300 Ausstellungen hat Kuratorin Gisela Kayser in 25 Jahren im Willy-Brandt-Haus organisiert. Die besten Fotos daraus sind nun in einer digitalen Jubiläumsschau zu sehen.

Dass eine Fotografie etwas bewirke, das sei der Traum eines jeden Fotografen, sagt Gisela Kayser. Auch bei ihr hat ein Bild vor 25 Jahren etwas bewirkt – mit weitreichenden Folgen für das Willy-Brandt-Haus und dessen Freundeskreis, für den sie rund 300 Ausstellungen organisiert hat. Als die SPD-Zentrale im Mai 1996 eröffnet wurde, fragte man sie, ob sie nicht das kulturelle Rahmenprogramm für die Eröffnungsfeier gestalten wolle. 

Sie wollte und konzipierte anschließend als Künstlerische Leiterin Ausstellungen für das Haus. In dieser Anfangszeit sah sie dieses Foto im Flur der Parteizentrale hängen, das alles veränderte: Jewgeni Chaldejs inzwischen ikonographische Aufnahme vom Soldaten der Roten Armee, der am 2. Mai 1945 die sowjetische Fahne auf dem brennenden Reichstag gehisst hat.

„Da dachte ich, den muss man zeigen, den muss man einladen“, erzählt Gisela Kayser in einem Videogespräch. Sie lud nicht nur Chaldej ein, sondern auch Toni Vaccaro, den amerikanischen Fotografen, der ebenfalls das Kriegsende in Berlin fotografiert hatte. „Es war eine richtungsweisende Ausstellung zum 8. Mai 1997. 

Daraus entwickelte sich die Idee, zwei oder drei Positionen gleichzeitig auszustellen, die entweder im Kontrast zueinander stehen oder die sich ergänzen“, erzählt Kayser. Platz genug hatte sie – die heutigen beiden Galerieräume in den oberen Etagen waren von den Architekten ursprünglich für das Parteiarchiv geplant gewesen.

Doch die Partei residierte bei der Eröffnung des Hauses noch in Bonn und so durfte Gisela Kayser diese Räume von jeweils 300 Quadratmetern nutzen. Mit dem Atrium mit ebenfalls 300 Quadratmetern Fläche konnte sie drei Ausstellungen gleichzeitig veranstalten, ein Glücksfall für eine Kuratorin.

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Schade ist es nun, dass ausgerechnet zum 25. Jubiläum die Corona-Pandemie eine würdige Ausstellung zum Jubiläum verhindert hat. Aber Gisela Kayser kann improvisieren und hatte nun die Qual der Wahl, innerhalb kurzer Zeit die Bilanz ihrer 25 Ausstellungsjahre in einer Online-Ausstellung zu zeigen. 

Es war eine Herausforderung, aus 300 Ausstellungen rund 30 Fotograf:innen mit insgesamt 100 Bildern auszuwählen und damit gleichzeitig das Themenspektrum ihrer engagierten Arbeit darzustellen. 100 Bilder könne man gut verkraften, habe Sigmund Freud einmal gesagt und so darf man sich nun durch die Ausstellung „25 Jahre FKWBH Photo. Der Blick zurück – kuratiert von Gisela Kayser“ klicken.

Natürlich muss diese virtuelle Ausstellung mit Chaldejs berühmtem Fahnenfoto beginnen, dann folgt bald Tony Vaccaro, der einen GI fotografiert hat, der ein kleines Mädchen küsst. „Die beiden sind sich in Berlin bei der Eröffnung in den Arm gefallen, Chaldej fast blind und mit allen seinen Orden, Vaccaro mit seinen langen Haaren. Sie haben beide für sich den Kalten Krieg beendet“, erzählt Kayser. 

"Ein politisches Haus mit humanistischer Kunst füllen"

Dass sie mit beiden noch nach Torgau gefahren ist, wo Vaccaro das Aufeinandertreffen von Sowjets und Amerikanern 1945 fotografiert hatte, versteht sich für Gisela Kayser von selbst. Es zeigt sehr früh, wie sie mit ihren Fotokünstler:innen umging, wie sie es verstand, eine freundschaftliche Atmosphäre herzustellen. „Ich wusste sehr schnell, dass ich dem Haus mit der Fotokunst ein Gepräge geben kann, ein politisches Haus mit humanistischer Kunst zu füllen, ganz im Geist von Willy Brandt“, sagt sie.

Gleich daneben ist in der virtuellen Schau Willy Brandts berühmter Kniefall von Warschau von 1970 zu sehen, dann Bilder des Krieges, auch einige Fotos von Valeri Faminsky. Aber daneben ein ausgelassen tanzendes schwarzes Paar aus Südafrika, „Dancing at the Ritz“ von Jürgen Schadeberg, dem sie eine große Retrospektive gewidmet hat. 

Es folgt ein sehr intimes Foto, das der israelische Fotograf David Rubinger schoss: Anwar el Sadat und Menachem Begin 1980 Kopf an Kopf, „eines meiner Lieblingsfotos“, wie Gisela Kayser bekennt. So vermittelt die virtuelle Jubiläumsschau schon nach wenigen Klicks Kaysers Agenda für das Haus: Geschichte, Zeitgeschichte, Ost-West, Israel-Palästina, aber auch Themen wie Umweltzerstörung, die Position der Frau, Brexit, und das Bauhaus-Erbe.

Die Fotograf:innen wussten es zu schätzen, in solch einem politisch geladenen Haus auszustellen, was weltweit einmalig ist. „Politisch wollte ich sein, aber nicht parteipolitisch“, sagt Kayser und legt Wert auf die Feststellung, dass die Partei sich nie eingemischt habe. 

Die SPD-Parteizentrale im Willy-Brandt-Haus in Berlin. 
Die SPD-Parteizentrale im Willy-Brandt-Haus in Berlin. 

© imago images/Ralf Pollack

So gelang es ihr auch mit dem wachsenden Renommee des Hauses, große Namen auszustellen. Der enge Kontakt zu den Fotograf:innen öffnete ihr wiederum weitere Türen zu anderen Künstler:innen. Durch Rubinger kam sie an die Fotografin Rina Castelnuovo, die Israelis und Palästinenser in Trauer vereint fotografierte. Einige dieser bewegenden Fotos sind in der virtuellen Ausstellung zu sehen.

Menschen berühren, aufklären, anregen, zusammenbringen, das war und ist ihr Prinzip. Gerne zitiert Kayser den amerikanischen Fotografie-Kunsthistoriker John Szarkowski: „Man kann mit Sicherheit nur sagen, dass die Fotografie seit anderthalb Jahrhunderten eines der radikalsten, lehrreichsten, störendsten, einflussreichsten, problematischsten und erstaunlichsten Phänomene der modernen Epoche geblieben ist.“

„Ein Fotograf muss viel wissen, um ein gutes Bild zu machen“, habe Robert Lebeck ihr einmal gesagt. Er hat das großartige Bild geschossen, auf dem ein Kongolese 1960 am Tag der Unabhängigkeit bei der Parade dem belgischen König Baudouin den Säbel aus dem offenen Wagen entwendete. Lebeck hatte sich vorab genau über die Route der Kolonne informiert und sich dort positioniert, wo sonst niemand stand. 

Kaysers Ausstellungen zogen stets viele junge Besucher an

Gisela Kayser ist voller solcher Geschichten, aber sie schöpft auch aus den Erfahrungen von 300 Ausstellungen. Wichtig waren ihr Fotografinnen wie Vivien Meyer, Esther Haase und Ute Mahler, aber auch die aus Afghanistan stammende Lela Ahmadzai.

Die Ausstellungseröffnungen waren immer ein Ereignis für sich, weil Gisela Kayser stets bemüht war, nicht nur prominente SPD-Politiker zur Eröffnung einzuladen, um so das Thema der Ausstellung noch einmal im Gespräch zu vertiefen. Ihre Ausstellungen zogen auch viele junge Besucher an, worauf sie besonders stolz ist. 

17 mal hat sie die besten Fotos des „World Press Photo Award“ gezeigt, bei der 18. Ausstellung im September tritt sie noch einmal als Gastkuratorin auf, denn Ende Juni endet ihre Amtszeit. Dann wird ihre Mitarbeiterin Mirjam Linnekugel, die von Anfang an als Kuratorin mit dabei war, das Amt übernehmen. Gisela Kayser und ihrem Team ist es gelungen, das Willy-Brandt-Haus als einen international geschätzten Ausstellungsort zu etablieren.

Der Abschied fällt ihr nicht leicht, aber sie hat schon neue Pläne. „Die Stärke der Fotografie ist, das zu zeigen, was wir noch nicht gesehen haben“, zitiert sie Schadeberg, und wird sicher auch in Zukunft dazu beitragen, dass das so bleibt. Die Ausstellung ist bis zum 31.Juli zu sehen.

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