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Berlin: Immer wieder bedroht – und allein gelassen

Rechtsanwältin Seyran Ates wirft Politikern mangelnde Unterstützung vor

Die Mitarbeiterinnen sind woanders untergekommen, gestern wurden die Büromöbel abgeholt. Das ist das Ende der Rechtsanwaltskanzlei Seyran Ates. „Mich zurückzuziehen, war eine schwere Entscheidung“, sagt Ates, „aber mein Leben und das meiner kleinen Tochter gehen vor.“ Die 43-jährige Juristin, die in den vergangenen Jahren vehement für die Rechte vor allem muslimischer Frauen gestritten hat, gab jetzt ihre Zulassung als Anwältin zurück, weil sie Angst um ihr Leben hatte. Die verbliebenen Rechtsfälle übernehmen Kolleginnen.

Auch sie hätten nun Angst, dass sie künftig bedroht werden, sagt Ates. Die meisten Fälle, mit denen sich die bundesweit bekannte Anwältin und Frauenrechtlerin befasst hatte, sind Streitfälle in türkischen Familien. Immer wieder wurde sie von den Ehemännern und Verwandten ihrer Mandantinnen beleidigt und angefeindet. Der Anlass für ihren Rücktritt war ein Vorfall Anfang Juni. Nach einem Gerichtstermin in einem Scheidungsverfahren hatte der Ehemann ihre Mandantin gegenüber dem Gerichtsgebäude vor ihren Augen zusammengeschlagen und auch sie anzugreifen versucht. „Ich ziehe mich aus der Anwaltstätigkeit zurück, meine Mandantin lebt im Frauenhaus, aber der Schläger läuft frei rum“, sagt Ates wütend. Ja, sie fühle sich von der Polizei und der Politik allein gelassen.

Am 7. Juni habe sie Anzeige gegen den gewalttätigen Ehemann erstattet und einen Strafantrag gestellt. Passiert sei bisher nichts. Im März vergangenen Jahres habe sie beim Berliner Landeskriminalamt für sich Polizeischutz beantragt, nachdem die türkische Zeitung „Hürriyet“ sie über Wochen angegriffen hatte. Sie hatte sich zuvor kritisch über Missstände in türkischen Familien geäußert. Man habe sich umgehört, so sehr bedroht sei sie nicht, habe sie von der Polizei daraufhin als Antwort bekommen. Ohne konkreten Anschlag könne man nichts machen. „Da muss sich viel ändern“, sagt Ates, „das Opferschutzgesetz muss dringend erweitert werden.“

Bei Politikern, auch bei ihren Parteifreunden von der SPD, sei sie aber auf taube Ohren gestoßen. „In der SPD herrscht immer noch eine Migrantenpolitik, die verharmlost.“ Politiker würden die Bevölkerung zu mehr Zivilcourage aufrufen. „Das ist richtig, aber dann muss man die Leute auch schützen.“

Vor 20 Jahren wurde Ates von einem Muslim angeschossen. Sie überlebte schwer verletzt – und setzte ihren Kampf für die Rechte von Frauen fort. „Ich wollte mich durch das Attentat nicht von meinem Traum abbringen lassen, Jura zu studieren“, sagt sie. „Aber damals war ich alleine.“ Jetzt zähle ihre zweijährige Tochter. Irgendwie will sie sich trotzdem weiter engagieren, auf Missstände in der muslimischen Gemeinde aufmerksam machen, Vorträge halten, aufklären. „Die Realität sieht schlimm aus. Angesichts der Weltpolitik nimmt der Hass und die Aggressivität unter Muslimen zu“, sagt sie. clk

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