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Berlin: Immer wieder ging die Sonne auf

Die Love Parade ist Geschichte: Woran wir uns erinnern – ein Nachruf

Ein Ereignis ist so bedeutsam, wie es kluge Gedanken provoziert. Aber auch Menschenmassen sind ein Argument. Die Love Parade, die nun endgültig der Geschichte angehört, zog beides auf sich: die Bewunderung der Intellektuellen und den Jubel der Menge. Sie war der Kristallisationspunkt einer postideologischen Spaßkultur, die, ohne der Welt etwas anderes geben zu wollen als sich selbst, die reine Party proklamierte.

Aber wird man sich der Love Parade als philosophisches Ereignis erinnern? Oder als Konsumrausch? Wie viel wird bleiben von der Botschaft, die sich im dumpf-dröhnenden Bumm-bumm-tschack des Technobeats formulierte? Seit die Love Parade sich Mitte der Neunziger Jahre von einem kauzigen Straßenfest für Diskofreaks zum Millionen-Spektakel ausweitete, erklärten viele Raver sie für tot. In der Tat: Den Geist des Underground hatte sie abgeschüttelt. Doch erst durch die massenhafte Verbreitung einer Musik, die selbst als Massenware noch ein minimalistisches, auf wenige musikalische Elemente reduziertes Avantgarde- Abenteuer blieb, zeigte sie ihre eigentliche Qualität. Sie war an keinerlei Szene, Kleidungscode oder Bewusstsein gekoppelt. Man musste nicht Abitur gemacht haben, um sich dem Techno-Sound verbunden zu fühlen, oder Leute kennen, die dessen Geheimnisse kannten. Es gab keine Geheimnisse.

Nie zuvor strömten so viele Menschen auf der Straße zusammen (1,5 Millionen waren es 1999), ohne für oder gegen etwas zu sein. Sie kamen einfach. Um zu tanzen, Ecstasy zu schlucken und den eigenen Körper unter dem Diktat der maschinellen Wiederholung in eine pulsierende Trance zu versetzen. Das Glück, das die Raver zelebrierten, verdankte sich dem Mangel an allem, was Zweifel hätte wecken können – vor allem dem Mangel an Sinn. Hier ging es, wie der Schriftsteller Rainald Goetz meinte, um ein fortgesetztes „Ja, ja, ja“.

Dass der Initiator und DJ Dr. Motte die Feier jedes Jahr mit predigtähnlichen Ansprachen krönte, um dem Anspruch einer politischen Demonstration gerecht zu werden (und die Kosten auf die Stadt abzuwälzen), unterstrich die ironische Dimension dieser Pop-Veranstaltung. Mit Parolen wie „Uns gehört die Zukunft“, „Liebe regiert“ oder „Lass die Sonne in dein Herz scheinen“ bediente sich Dr. Motte bei politischen Redewendungen, denen er das Politische austrieb. So durfte sich jeder angesprochen fühlen, ohne gemeint zu sein.

Doch auch das Prinzip der Wiederholung nutzt sich ab. Zum Schluss war die Love Parade nur noch ein Wirtschaftsfaktor, dem der Charme des Unmöglichen abhanden gekommen war. Die Macher, von jeher ein sektiererischer, bald auch zerstrittener Haufen, hatten die Gipfel erreicht, den Mühen der Ebenen wurden sie nicht mehr gerecht. Und es zeigten sich die ersten Umrisse dessen, was heute als „Unterschicht“-Kultur bezeichnet wird. Die Love Parade wurde eine auf den entblößten Körper fixierte Dauerverausgabung. Die Leiber, die schweißgebadet und nackt den Blicken der Menge ausgesetzt wurden, spielten keine Rollen mehr. Die Tänzer nahmen sich zu ernst und entdeckten die Love Parade als Kampfplatz um soziale Anerkennung.

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