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In allen Himmelsrichtungen war Osten: Wer waren hier eigentlich die Eingesperrten?

Als die Mauer gebaut wurde, war West-Berlin plötzlich eine Insel im Osten und das Lebensgefühl ein ganz besonderes. Und ja: Es gab genug Äpfel. Eine Glosse.

Von Andreas Austilat

Wenn vom Mauerbau vor 60 Jahren die Rede ist, taucht gelegentlich die Frage auf, wer alles an diesem Tag eingesperrt wurde. Aus eigener Anschauung kann ich nur für die West-Berliner sprechen, für die plötzlich in allen Himmelsrichtungen Osten war.

„Wie haltet ihr das aus auf eurer Insel“, hieß es danach, wenn wir mal drüben waren. Wobei „drüben“ in unserem Fall Westdeutschland meinte. Einmal wollte sogar jemand von mir wissen, ob wir genug Äpfel kriegten. Kriegten wir.

Ehrlich gesagt bekam ich von der Mauer wenig mit. Gut, es gab die Warnung, nicht in den Teltowkanal zu fallen, der in unserer Nähe die Grenze markierte. Weil mich wohl niemand rausholen könnte. Und vor dem Transitabkommen brauchten wir zu Ferienbeginn mitunter einen ganzen Tag bis in die Lüneburger Heide, weil die Grenzabfertigung in Dreilinden sehr lange dauerte.

Falls wir seelisch gefährdet waren, doch noch am Lagerkoller zu erkranken, gab es einen Abwehrzauber. Berlin besteht bekanntermaßen aus einem Konglomerat an Dörfern und Kleinstädten, weshalb es viele Ortszentren gibt. Wenn wir also aus Lichterfelde in die Stadt fuhren, dann hieß das nicht etwa Ku’damm, sondern die Schloßstraße in Steglitz.

Weil aber der Berliner sich in seinem Kiez am wohlsten fühlt, wurden Fahrten nach Lübars oder mit der Fähre nach Kladow gleich zur richtigen Reise. In der Erinnerung meine ich sogar Möwen zu hören, was dem Wannsee Ostsee-Feeling verlieh.

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Außerdem war West-Berlin eine Stadt der Brachen, die niemand mehr wollte, in der sich unkontrolliert Leben ausbreitete, in Form von Steppenvegetation oder Kleingewerbe. Solche Nischen waren ungeplante Erholungsflächen. Sie sind inzwischen vielfach verschwunden, das ist wohl der Preis der Freiheit.

Die Kieze sind geblieben. Manch einem gelten sie als Zeichen von Posemuckeligkeit. Ich nehme sie als Garant für seelische Gesundheit.

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