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Berlin: In blindem Vertrauen nach Budapest Ex-Weltmeister und ein Blinder radeln ostwärts

Als Klaus Assmann zum ersten Mal in den Osten gereist ist, konnte er ihn noch sehen. 30 Jahre ist das her.

Als Klaus Assmann zum ersten Mal in den Osten gereist ist, konnte er ihn noch sehen. 30 Jahre ist das her. Budapest war schon Weltstadt und Prag etwas provinziell, erinnert sich Assmann, der jetzt 65 Jahre alt ist und wegen einer Netzhauterkrankung fast blind. Gestern ist er wieder in den Osten gestartet: mit dem Tandem, auf dem Sattel hinter Ex-Radweltmeister Rainer Podlesch. Wolfgang Thierse hat sie und gut zwei Dutzend weitere Teams aus halb Europa – vorn jeweils ein Sehender, hinten ein fast oder ganz Blinder – vor dem Reichstag losgeschickt. Der Selbsthilfeverein „Pro Retina“ hat die Tour organisiert, die Deutsche Angestellten-Krankenkasse und viele Privatunternehmen sponsern die Teams. Morgen wollen die Radler in Dresden sein, Ende der Woche in Wien und nächsten Dienstag in Budapest. Macht im Durchschnitt 150 Kilometer am Tag.

„Vor den Anstiegen im Erzgebirge habe ich Bammel“, sagt Assmann, der früher Richter war und ein bisschen wie Peter Struck aussieht. „Aber auf das Fahren selber freue ich mich am meisten. Man kriegt so viel mit dabei.“ Je weniger er sieht, desto lieber radelt Assmann. Lange Autofahrten dagegen langweilen ihn: keine Gerüche, keine Geräusche, kein Wind, kein Wetter. Man steigt ein, es brummt und wackelt ein paar Stunden lang – und irgendwann ist man da. Vor zwölf Jahren hat Assmann wieder angefangen zu radeln. Da konnte er schon nicht mehr lesen. Wenn er Pech hat, steht er bald völlig im Dunkeln. Noch sieht er die Welt durch eine Milchglasscheibe. Das reicht knapp, um sich in seinem Charlottenburger Kiez zurechtzufinden, aber es ist zu wenig, um etwa seine gedankenlos abgestellte Tasche in den Sechsbettzimmern der tschechischen Jugendherbergen wiederzufinden.

Da wird sich die Verantwortung von Vordermann Rainer Podlesch nicht nur aufs Lenken und Bremsen beschränken. Seit März trainieren die beiden regelmäßig; am Tag vor dem Start schraubt Podlesch noch den Seitenständer von Assmanns Tandem ab, weil er kein Gramm zu viel über die Berge kurbeln will. „Tandemfahren ist wie Lkw-Fahren“, sagt Podlesch – und versichert, dass die Anstrengung konstruktionsbedingt sei und nichts mit Assmanns Bequemlichkeit zu tun habe. Er muss es wissen, denn er radelt seit Jahren mit Blinden auf dem Sozius.

Die Tour dürfte auch anstrengend werden, weil die Truppe morgens um acht starten muss, und abends nach den Mammutetappen gibt es oft noch einen Empfang beim jeweiligen Bürgermeister. Viel Zeit, die Städte zu erleben, wird nicht bleiben. Auch der Rückflug ist schon gebucht: EasyJet. War schön billig, sagt Klaus Assmann. Sie wissen nur noch nicht genau, wie sie das Tandem ins Flugzeug kriegen.

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