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Berlin: In der Pol-Position Runter kamen sie immer

Dieter Herrmann liebt das Abenteuer. Der Berliner Journalist will in Grönland notgelandete US-Kampfflugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg bergen

Es gibt Dinge, die Männer nicht erklären wollen. Dieter Herrmann flucht kurz, bevor er das Wort sagt, mit dem sich fast alles erklären lässt: Abenteuer. Es wird beginnen in einem Jahr an der Ostküste Grönlands, wo der Eispanzer bis zu drei Kilometer dick ist. Mit einem erhitzten Metallkeil, der Form nach eine umgedrehte Hundehütte, will ein Bergungsteam um Expeditionsleiter Herrmann einen Schacht ins Eis tauen. Etwa 100 Meter tief. Wenn die Messungen stimmen, wird die Hundehütte dort unten auf eine Haut aus Stahl treffen. Sie gehört zu einem Flugzeug, das im Juli 1942 auf einer Schnee-Ebene notlandete, eine P 38 Lightning der Firma Lockheed, wenige Flugstunden alt, bestimmt für den Kampfeinsatz gegen Hitler-Deutschland.

Am Anfang eines modernen Abenteuers steht der gemeinnützige Verein. Dieter Herrmann, wuschelhaarig, breitschultrig, ist zum ersten Mal in seinem Leben Vereinsvorsitzender, ein „schwerer Gang“ für den Berliner Familienvater, der sich als Alt-Achtundsechziger bezeichnet und für die Deutsche Welle aus Krisenregionen der Welt berichtet. Womöglich muss er für die Flugzeug-Bergung bald noch eine GmbH anmelden. Aber vielleicht kehrt er zurück mit reicher Beute.

Das wären fünf amerikanische Kampfflugzeuge, bis ins Detail erhalten. Seit den achtziger Jahren versuchen amerikanische Privatleute, die historischen Maschinen zu bergen. Die ersten Suchteams gingen dilettantisch vor, beluden ein Sportflugzeug mit Schlafsäcken und Zelten und kreisten über der vermuteten Landestelle. Sie ahnten nicht, dass die Flugzeuge schon 60 Meter tief in den Eispanzer eingetaucht waren. Anfang der neunziger Jahre konnten die Flugzeuge geortet werden. Ein Schacht wurde ins Eis getaut und eines der Flugzeuge vorsichtig zerlegt. Die anderen blieben im Eis. Einen B-17-Bomber „Flying Fortress“ versuchten die Amerikaner noch zu heben, aber die dünnwandigen Flugzeuge waren vom Gewicht des Eises zu Metallschrott zerquetscht worden.

Dieter Herrmann wollte eine Fernsehdokumentation über die Bergungsaktion machen, aber die Organisatoren verlangten Geld. Das widersprach seiner journalistischen Ethik, also sagte er ab. Und ärgerte sich später darüber.

7. Juli 1942, morgens. Die US-Luftwaffenstaffel „Tomcat Yellow“ startet im US-Bundesstaat Maine, um über Zwischenstopps in Neufundland, Grönland und Island nach England zu fliegen. Wegen schlechten Wetters verzögert sich der Flugplan immer wieder. Erst am 15. Juli können die Piloten von einem Stützpunkt in West-Grönland mit Ziel Reykjavik abheben. Die Sicht ist mäßig. Als die Flugzeuge Grönland verlassen, verschlechtert sich das Wetter rapide. Die Piloten kommen vom Kurs ab und können die Formation nicht halten. Sie steigen bis auf 9000 Meter, um freie Sicht zu bekommen. Doch dort oben wird der Sauerstoff knapp. Außerdem vereisen die Tragflächen. Auch für die Piloten ist es höllisch kalt. Sie beschließen, zum Stützpunkt BW-8 in Westgrönland zurückzukehren. Unterwegs empfangen sie einen Funkspruch, dass BW-8 wegen schlechter Sicht geschlossen ist. Später erweist sich der Spruch als falsch, wahrscheinlich abgesetzt von einem deutschen U-Boot. In einem Irrflug über Ost-Grönland suchen die Flieger einen geeigneten Landeplatz. Bei Position 65 Grad Nord, 40 Grad West kommen sie herunter. Eine Maschine überschlägt sich, weil der Pilot versucht hatte, mit ausgefahrenem Fahrwerk zu landen. Die übrigen rutschen auf dem Bauch problemlos durch den weichen Schnee. Nach einer Woche werden alle 16 Männer von der US-Marine gerettet. Ihre Flugzeuge müssen sie zurücklassen.

Zwei der Veteranen werden bei der Bergung am Ort sein, verspricht Herrmann. 250 freiwillige Helfer braucht er. 400 Interessenten haben sich schon gemeldet, darunter 20 Lufthansa-Piloten, die Transportflüge übernehmen sollen. Auch Militärfans und Militariasammler wollen mitmachen, gerade die kann er nicht brauchen. Allein der Vorwurf, hier werde Material für Kriegsspiele geborgen, könnte Sponsoren verschrecken. Panasonic sagte ab, weil die USA die Lightnings im Kampf gegen Japan eingesetzt hatten. So wurde mit Maschinen dieses Typs am 18. April 1943 der Befehlshaber der japanischen Marine, Admiral Yamamoto, abgeschossen.

Deutsche Unternehmen sind in dieser Hinsicht resistent. Die Bahn und der Pistenraupen-Spezialist Kässbohrer wollen bei der Logistik helfen.Die Bergungsfachleute kommen aus Dänemark, einige waren schon bei der ersten Bergung dabei. Weil Grönland hoheitlich zu Dänemark gehört, mussten die dortigen Behörden ihr Okay geben – dafür bekommen sie eine der geborgenen Maschinen. Die Grönländer kriegen nichts als die Hoffnung auf Touristen durch das medienwirksame Vorhaben. Bislang kommen jährlich nur 2500 Besucher auf die größte Insel der Erde. Zwei der geborgenen Lightnings möchte das Auktionshaus Sotheby’s versteigern, die vierte soll vielleicht das Berliner Technikmuseum bekommen. Die fünfte wird im Luftwaffenmuseum Gatow wieder flugfähig gemacht und ausgestellt.

Rund 2,5 Millionen Euro werde die Bergungsaktion kosten, kalkuliert Herrmann, er selbst ist mit 40 000 Euro dabei. Aufwändig ist der Transport. Weil die Häfen an der Ostküste nur im Juli und August eisfrei sind, werden die schweren Bergungsmaschinen samt Treibstoff an die Westküste verschifft und von dort aus per Schlitten quer über das grönländische Inlandeis nach Osten geschleppt. Das leichtere Gepäck und die Journalisten reisen per Flugzeug. Bis Ende September müssen die Lightnings geborgen sein.

Herrmann, inzwischen Mitte 50, ist früher selber geflogen, eine Boeing 737 mit 180 Passagieren. Dann wurde ihm das „Busfahren in der Luft“ zu langweilig, und zufällig war er gerade im richtigen Erdteil, als der erste Golfkrieg ausbrach und der „Spiegel“ einen Korrespondenten brauchte. Die Flugzeuge im Eis interessieren ihn, weil sie in einer unwirtlichen Gegend liegen, die er sehr schätzt. Die Grönländer haben eine große Selbstironie, viele Kinder und einen unbändigen Stolz. Man versteht dort einen Abenteurer auch ohne viele Worte.

Die Lockheed-Lightnings wurden als Begleitschutz für Langstreckenbomber eingesetzt. Die deutschen Flieger bezeichneten sie als „Gabelschwanzteufel“ , weil sie zwei Rümpfe hatten, die im Heck verbunden waren. Antoine de St. Exupéry stürzte mit einer Lightning in den Tod. Auch im Film „Aviator“ ist das Flugzeug zu sehen. Weltweit gibt es nur noch wenige Exemplare, darunter die „Glacier Girl“ , die von den Amerikanern aus dem Eis geholt wurde. Ihr Wert wird auf mehr als zehn Millionen Dollar geschätzt. Auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in Schönefeld (ILA) vom 16. bis 21. Mai soll die Bergungstechnik an einem Eisblock vorgeführt werden. loy

Mehr zum Thema: www.lost-squadron.de

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