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Berlin: In manchen Klassen können nur zwei Schüler Deutsch

BERLIN .An mehreren Grundschulen in Wedding, Kreuzberg, Tiergarten, Neukölln und Schöneberg ist der Anteil der Migrantenkinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse auf über 85 Prozent gestiegen, in manchen Vorklassen gar auf über 90 Prozent.

BERLIN .An mehreren Grundschulen in Wedding, Kreuzberg, Tiergarten, Neukölln und Schöneberg ist der Anteil der Migrantenkinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse auf über 85 Prozent gestiegen, in manchen Vorklassen gar auf über 90 Prozent.Die Pädagogen sind verzweifelt: Normaler Unterricht ist praktisch nicht mehr möglich, mit den Eltern können sie sich nur über Dolmetscher verständigen - und die wenigen deutschen Kinder haben ebenfalls drastische Sprachprobleme.

Der Bezirk Wedding mißt wegen dieser Zuspitzung in den unteren Klassen jetzt den Sprachstand aller Kinder.Das verschafft allerdings lediglich einen besseren Überblick.Die betroffenen Lehrer kritisieren allgemeine Konzeptlosigkeit und fehlende methodische Unterstützung.An ihrer Schule sei inzwischen jedes Kind benachteiligt und benötige besondere Förderung, sagt Ulla Hegemann, Lehrerin an der Wedding-Schule.Der Rahmenplan für Klassen, in denen diese Kinder lernen, müßte überprüft werden.Integration sei in weite Ferne gerückt."In welche heilen Gruppen sollen wir unsere problematischen Kinder integrieren?"

Das Ergebnis der Sprachstandsmessungen, so Ulla Hegemann, könne allenfalls helfen, die Diskussion um die Integration der Migrantenkinder zu versachlichen.Denn die Lücken im deutschen Sprachschatz kennen die Lehrer ohnehin: anders könnten sie ihren Förderbedarf nicht begründen.Hegemann plädiert für eine "maßvolle und zumutbare Verteilung" der Kinder.An der Wedding-Schule sollen 341 Kinder mit über zwanzig verschiedenen Muttersprachen unterrichtet werden.Die größte Gruppe, 183 Kinder, sind die türkischen Muttersprachler.Lehrerin Christa Fahlbusch benennt ein weiteres Problem: Viele Eltern seien, anders als in früheren Jahren, nicht mehr zur Zusammenarbeit mit der Schule zu bewegen.

Schulen allein könnten diese Entwicklung nicht aufhalten, sagt Angelika Suhr, Schulleiterin der Wedding-Grundschule.Die Eltern müßten viel früher einbezogen werden - hier seien Kirchen genauso wie soziale Einrichtungen der Bezirke gefordert.

An den Grundschulen in Wedding wird ein Fragebogen benutzt, der in den achtziger Jahren in Nordrhein-Westfalen zur Sprachstandsmessung entwickelt worden war.Die Kinder müssen einfache Begriffe auf Deutsch kennen: Substantive, Verben, Präpositionen.Sie sollen Geschichten erzählen und aus dem Alltag zu Hause.Nach einer Punkt-Tabelle bewerten die Lehrer den Sprachstand.Die Aktion wird vom Schulpsychologischen Dienst des Bezirkes betreut.

Der hat auch in Tiergarten diesen Service übernommen, nur verzichtet man hier darauf, die Ergebnisse mit Punkten zu bewerten.Hier werden Interviews mit den Kindern protokolliert, sagt der Schulpsychologe Klaus Hugow.Auch erzählen die Kinder, die Psychologen testen das Situationsverständnis und fragen den Wortschatz ab.

Hugow meint, daß die Befunde ausreichen, die Kinder indidviduell zu fördern.Die Protokolle bekommmt die Schulverwaltung.Dies, so die hoffnungsvolle Erwartung, werde den Ernst der Lage eher verdeutlichen als die Appelle bisher.

Kreuzberg will prüfen, ob man das Tiergartener Modell übernimmt, sagt die für Grundschulen zuständige Schulrätin Hannelore Kern.Auch sie bestätigt, daß sich die Situation an den Grundschulen, wo überwiegend Kinder lernen, deren Muttersprache nicht die deutsche ist, noch zugespitzt hat.Die Abwanderung jener Kinder, die keine Sprachprobleme haben, dauere an.Und hinzu käme nun noch, daß die mit sozialen und Sprachproblemen überfrachteten Kreuzberger Schulen auch noch Durchgangsstation für Flüchtlingskinder sind.Keine vernünftige Förderung ließe sich so planen, sagt Kern, weil diese Kinder kommen und gehen, ohne daß Schulen darauf vorbereitet sind.

Einig sind sich Lehrer und Landesschulamt darüber, daß die zusätzlichen Lehrerstellen, die jetzt den besonders betroffenen Vierteln zugeteilt wurden, nicht ausreichen werden.Der Berliner Förderetat sei noch nicht einmal wieder auf dem Stand von 1995, sagt Dagmar von Loh, im Landesschulamt zuständig für die fachpädagogische Betreuung der Migrantenkinder.Doch Lehrer kritisieren nicht nur, daß dieser Förderzuschuß zu mager ausgefallen ist.Dringender sei ein einheitliches Konzept und neue Methoden der Sprachvermittlung.

REGINA MÖNCH

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