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In OMAS ZEITung (1): Die Beförderung

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Frau Spannagels Aufstieg von der Redaktionssekretärin zur Reporterin.

Ich habe einen Schatz gehoben. Er passt zwischen die Deckel eines Leitz-Ordners. Nichts glitzert, nichts glänzt, mein Schatz ist schwarz-weiß und ein wenig vergilbt. 170 Artikel hat meine Großmutter Emma Hedwig Dorothea Spannagel, geboren am 8. März 1918 in Berlin-Borsigwalde, zwischen 1949 und 1955 für den Lokalteil der „Neuen Zeitung“ verfasst. Meine Oma Thea war Journalistin in Berlin, ich bin ihr gefolgt, ohne mit ihr jemals darüber zu sprechen. Als sie 1993 starb, war ich 14, noch zu jung, um ernsthaft ein Berufsziel zu haben.

Aber es ist, wie es ist. Ihr Kürzel in der „Neuen Zeitung“ war „D. Sp.“, unter meinen Tagesspiegel-Texten steht „lsp“.

„Im Juli 1949 haben wir Frau Spannagel als fest angestellte Reporterin der Lokal-Redaktion übernommen.“ So steht es im Arbeitszeugnis meiner Oma, einem ausgeblichenen A4-Blatt. Am Anfang war sie Redaktionssekretärin, zuständig unter anderem für „telefonische und direkte Stenogrammaufnahme und Maschinendiktate“. Doch dann erkannte wohl jemand ihr Talent und machte die Sekretärin zur Reporterin. Ich weiß nicht, was diese Beförderung meiner Großmutter bedeutet hat. Aber wenn ich ihre Texte lese, bin ich mir sicher, dass sie ihren Job – das Schauen, Fragen, Denken, Schreiben – geliebt hat. Genau wie ich es heute tue.

Ich kenne meine Oma nicht als rasende Reporterin, sondern als gemütliche alte Dame, die einen klapprigen roten Fiat namens Murkelchen fuhr, viele Zigaretten der Marke Lord Extra rauchte und mit mir Tierfilme oder „Western von gestern“ im Fernsehen schaute. Keine Ahnung, ob damals in ihrer Schmargendorfer Wohnung überhaupt eine Tageszeitung herumlag. Aber als wir 1986 im Familienurlaub auf Bornholm eine Trabrennbahn besuchten, setzte sie ein paar Dänische Kronen auf ein Pferd namens „Journalisten“. In meiner Erinnerung fiebert sie bei dem Rennen besonders mit, das Pferd enttäuscht auf ganzer Linie.

Ich kann meine Oma nicht mehr fragen, wie es vor 60 Jahren war. In der Redaktion der „Neuen Zeitung“ am Breitenbachplatz, in der die amerikanischen Besatzer als Herausgeber das Sagen hatten. Im von Krieg und Blockade zermürbten Berlin, in dem das Leben trotzdem irgendwie weiterging und dessen Spaltung doch jeden Tag deutlicher wurde. In ihrer Stadt, die auch meine Stadt ist.

Aber ich kann ihre Texte lesen und mich mit ihr freuen, wenn der Zoo sein erstes Nashorn nach dem Krieg zurückbekommt. Mich mit ihr ärgern, wenn die Buttermilchpreise heimlich erhöht werden. Oder nachschauen, wie es heute an der Ecke in Neukölln aussieht, an der sie selbst an einem sonnigen Vormittag im Mai 1950 recherchierte.

Was hätte Oma Thea mir geantwortet, wenn ich sie gefragt hätte, ob ich Journalist werden soll? Habe ich etwas von der „schnellen Auffassungsgabe“ geerbt, die in ihrem Zeugnis erwähnt wird? Was bedeutet „D. Sp.“ für „lsp“? Die Antworten auf diese Fragen liegen in ihren Texten. Der Schatz ist geborgen, doch das Entdecken fängt jetzt erst an.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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